< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 6 Brief 192:    Humboldt an Caroline    Frankfurt, 2. April 1819   ]


Denn so tut es die Religion der meisten Menschen. Aber die
Kinder sind sehr gut, und Du mußt ihnen ihre Lebendigkeit ver-
zeihen, wenn sie auch manchmal verletzend wird. Gerade weil sie
Dich unendlich lieben und sehr ungern von Dir getrennt sind, äußern
sie sich so. Das denken sie gewiß nicht, daß Du mich auch nur auf
das Leiseste bereden könntest, mich aus Deutschland zu entfernen,
aber es ist nun einmal so, die Zeit hat viel dazu getan. Die
Liebe zum Süden, zum Altertum, zur Kunst setzt doch eine Art
leiser Scheidewand zwischen uns und die Kinder. Wir fühlen, wie
Du sehr richtig sagst, die Forderungen des Lebens, der Heimat sehr
strenge und bestimmt, und es käme darauf an, ob, wenn sein Selbst-
gefühl gekränkt würde, August gleich streng darin bliebe, aber wir
fühlen auch, daß es Forderungen sind, und gehen mit Freiheit in
etwas über, das, wenn nicht höher ist, doch in einer anderen und
feineren Sphäre liegt. Dafür haben sie keinen Sinn und werden
ihn nicht haben, und wie gern die kleine Adel in Rom ist, so hat sie
doch ihr Hauswesen in Berlin und Tegel lieber, als in der Fremde
zu sein. Sie schlagen die Wurzeln ihres Daseins in einen anderen
Boden. Das kann man nicht ändern, und es hat auch wieder viel
Gutes und Schönes, und wir haben den Vorzug, daß wir es als
so in ihnen erkennen, aus uns hinausgehen können. Es hat so-
gar, möchte ich sagen, etwas Leitendes und Achtunggebietendes.
Ich leugne es nicht, mir dient die Art, wie die Kinder sind, zu
einer Art Selbstprüfung und Richtschnur. Erst wenn ich über-
zeugt bin, daß ich auch dann, wenn ich mich in diese Gesinnung
versetze, getan habe, was man irgend fordern kann, bin ich ruhig.
Dann aber bleibe ich nicht dabei stehen, auch geht es nur in mein
Handeln über. Im Gemüt hat man immer wie ein stilles, von
Bergen umschlossenes Tal, in das diese Betrachtungen nicht dringen,
und in dem man frei fortlebt. Aber wahr ist es, daß der Mensch
scheu wird, wie er ganz in innerer Freiheit handelt und lebt, daß

                                                                       517