< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 6 Brief 174:    Humboldt an Caroline    Frankfurt, 31. Januar 1819   ]


zug mit recht viel Pomp begangen wird, den dann das dunkle
Grab verschlingt. Es ist die Erdengröße, die sich vor dem all-
gemeinen Schicksal beugt. War der Papst in St. Peter, oder ist
es gegen die Etikette, daß er bei Begräbnissen erscheint? Das
wäre auch hübsch. Das Heilige muß selbst vom Tode rein bleiben.
Wenn ich nur die 25000 Pfund Wachslichte von dem Be-
gräbnis hätte! Wachslichte sind meine Passion. Auch leide ich nie,
daß man mir welche aufsteckt, ich habe sie selbst in meinem Bureau
und mache sie selbst auf die lieben, hübschen Leuchter, die Du mir
noch geschenkt hast. Dann muß jedes Licht seinen Lebenslauf ganz
vollenden, wie dunkel es auch werden mag, so rühre ich es nicht
an, bis es von selbst erlischt. Minettes *) Vater hat mich als Kind
darauf aufmerksam gemacht, daß dies das Bild des Sterbens sei,
und so behalte ich es bei.
. . . Das Lernen bleibt immer die Hauptsache, und an Alex-
ander und mir ist es charakteristisch, daß wir beide immerfort ganz
eigentlich lernen. Neulich habe ich im Callimachus anderthalb sehr
hübsche Verse gefunden, die ich noch nicht kannte, ein Fragment
einer Grabschrift: . . . Geh, holdsel’ge der Frauen, den Weg, den
nie Seelen umnagende Sorgen bewandeln. . . .


175. Humboldt an Caroline                     Frankfurt, 5. Februar 1819

Ich habe gestern, süße Li, wieder einen Brief von Dir be-
kommen. Du würdest gewiß niemals raten, wie mich
gestern Deine teuren Zeilen gefunden haben. Stelle Dir
vor, daß ich ganz im Sigwart **) vertieft war. Ich habe den ersten

———
*) v. Holwede, Nichte der Mutter Humboldts.
**) Sigwart. Eine Klostergeschichte. 1776 herausgegeben von 
Joh.  Martin Miller, geb. 1750, † 1814.

                                                                       460