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[ Band 6 Brief 161: Humboldt an Caroline Frankfurt, 24. Dezember 1818 ]
Mangel vielleicht das einzige wahre Unglück ist. Je weniger ich aber, wie ich mit Wahrheit sagen kann, in allen Verhältnissen das Glück gesucht habe und noch suche, desto reichlicher ist es mir ge- worden, doch einzig durch Dich, mein innigstgeliebtes Herz. Es sind nicht so die einzelnen Freuden, der Genuß dieser oder jener Zeit, es ist wie ein himmlischer Segen, mit dem das Gefühl Deines Da- seins und Deiner Liebe mich ewig umgibt. Es ist etwas, das nie schei- det, nie kommt und geht, sondern immer gegenwärtig ist, immer steigt und wächst. Ich kann Dir gar nicht sagen, wie ich mich auf das wieder mit Dir Zusammenleben freue. Es ist mir nicht bloß die Rückkehr eines schon genossenen, es ist mir wie das Erscheinen eines ganz neuen Glücks. Es ist auch nicht zu leugnen, daß die, welche einmal Wert und Gehalt haben, durch die Reife der Jahre wachsen, daß das längere Leben in und mit sich immer noch reicher und gehaltvoller macht, und die Zeit wie an Wert gewinnt, wenn man sie als die ansieht, die ein glückliches Dasein glücklich beschließen soll, die der Zukunft wenig mehr anvertraut, aber gern auf der Vergangenheit ruht, nicht mit Heftigkeit und Parteilichkeit sondert und scheidet, sondern gern das Verschiedenartige im Leben zusammenknüpft, wie es in der Natur gleichfalls verbunden ist. Deine Briefe, die meine beste und höchste Freude sind, waren, dünkt mich, nie so schön, so voll der tiefsten Wahrheit, des rein- sten und sichersten Gefühls über jeden Gegenstand, den Du berührst, als während unserer jetzigen Trennung. Ich lese oft dieselbe Stelle vielemale und bewundere, wie unnachahmlich so vieles gedacht, empfunden und gesagt ist. Ja, süße, liebe Li, laß uns nur wieder beisammen sein, und es soll gewiß meinem Glück nichts fehlen. Manchmal kommst Du mir jetzt ordentlich verlassen vor, obgleich Du eigentlich nie etwas Fremdes brauchst, Dich zu halten und zu beschäftigen, sondern immer Kraft und Lebendigkeit und Reichtum in allem in Dir selbst trägst. Aber eine gewisse Sicherheit mehr, 417