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[ Band 6 Brief 138: Humboldt an Caroline London, 23. Oktober 1818 ]
einem doch alles, was mit jenen Begebenheiten zusammenhängt, un- vergeßlich. Damals hatte unsere Trennung eben erst angefangen, und ich habe keine Zeit so in tiefer Einsamkeit zugebracht, als die in diesem anscheinenden Gewühl. Es kommt einem manchmal vor, als wären die Menschen damals anders, kräftiger und bereitwilliger zum Guten und Rechten, einfacher gewesen, allein ganz ist das wenigstens schwerlich wahr. Die Andersdenkenden kamen damals nur nicht zum Vorschein, sie hatten sich zum Teil anderswohin ver- krochen, oder wenn man sie sah, hielten sie ihre Äußerungen zurück. Das hat sich natürlich hernach verändert, und die alte Zuversicht ist wiedergekehrt. Das hat dann zugleich auf die Besseren zurück- gewirkt, sie bitter und fordernder gemacht, so daß man manchmal selbst mit ihnen unzufrieden sein muß. Überhaupt ist es sehr schlimm, wenn einmal eine Spaltung in einer Nation ist; in Frankreich ist sie unleugbar, es sind natürlich die am Alten und die am Neuen Hängenden, und die Spaltung hat sich ganz von Ideen entfernt, ist rein verkörpert, da dieselbe die Verlierenden und Gewinnen- den sind. In Deutschland und bei uns hängt es glücklicherweise noch nur an Meinungen, Urteilen, Wünschen, und alles, was wie dies auf Ideen beruht, ist nicht bloß versöhnbar, sondern immer zum höher Besseren, als das Verhindern des bloßen materiellen Übels ist, zu führen, wenn es verständig begonnen und mit Konsequenz durch- geführt wird. Der Charakter der Nation selbst wird das gar sehr erleichtern. Denn sie hat doch eine viel sichtbarere Richtung nach Ideen, und es ist durch Ideen mehr mit ihr anzufangen, als mit irgendeiner anderen. Ich glaube wirklich, daß der deutsche Charakter, auch in der Masse, dürchaus der menschlichste und mithin edelste ist. Er hat gewiß am wenigsten von der Heftigkeit und Gewalt- tätigkeit, die im einzelnen tierisch, und in der Masse wie eine 350