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[ Band 6 Brief 118: Caroline an Humboldt Rom, 2. September 1818 ]
sinnen, wie es recht in freier Natur wäre, wieviel mehr mag das in dem immensen London der Fall sein! Ja, und die Sterne sind ein einziger Trost. Wenn man auch in einer recht schlechten, recht gemeinen Gegend ist, und die Nacht alles einschließt, so haben sie mich oft getröstet, die so ewig unwandelbar herunterblicken. Doch ist ihr Glanz wohl hie und da verschieden, und schöner sah ich ihn nirgends als in Ischia. Wie ein Strom ausgegossenen Lichtes flammte die Milchstraße durch den nächtlichen Himmel, und ich habe oft nicht gewußt, wie ich von unserer Terrasse hinein und zu Bett gehen wollte, so zog der Himmel mich an und das gleichmäßige Rauschen des Meeres, das mir immer wie der Pulsschlag der lebendigen ruhenden Erde vorkommt. In Nocera waren auch die heiligen Nächte nur ein geringer Trost, nur der, daß man die Häßlichkeit der Gegend nicht sah. Nach Morgen und Mittag hin saßen die Berge so nah, daß man wie aus einer Vertiefung nach den Sternen des Zeniths sah und hinauf- schaute. Das gute Nocera! Ich glaube doch, das sehe ich nie wieder. Du sprichst bei Gelegenheit der Sehnsucht, die Dich nach der Küste treibt, von der schönen Stelle in Schillers Trauerspiel, wo er sie sagen läßt: »Eilende Wolken, Segler der Lüfte!« Ja, nie- mand verstand so wie Schiller, sich in einen Zustand hineinzu- denken, er selbst, seine Individualität verschwindet mehr in seinen Dichtungen, als Goethen seine in seinen Werken. Letzthin in Nocera las ich wieder der unglücklichen Königin Leben von Gentz *). Es ist darin eine große Kunst, die Sachen, die er eigentlich nicht sagen durfte, um das volle Interesse an ihr rege zu erhalten, doch ahnden zu lassen, meisterhaft beschreibt er den leidenschaftlichen Zu- stand ihres Gemüts. Sie muß unbeschreiblich unglücklich gewesen ——— *) Maria, Königin von Schottland, eine der besten Schriften des be- kannten Publizisten und Staatsmannes Friedrich v. Gentz, geb. 1764, † 1832. 292