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[ Band 6 Brief 114: Humboldt an Caroline London, 21. August 1818 ]
Berlin, sei es in der Fremde, herkommen. Aber das Ansehen des Staats, als eines, der mit Schnelligkeit, Konsequenz, dem gehörigen Maß und der gehörigen Festigkeit zugleich handelt, ist gesunken, und darum hält das Gelingen überall schwer. Die Schlabrendorffin hat denn vorgestern bei uns gegessen. Nein, man hat keinen Begriff davon! Sie sieht exakt wie eine Vogelscheuche aus, und die Pflegetochter, Virginia, ist ein kleiner Knirps mit Haaren zwischen Flachs und Fuchsfarbe. Sie bleiben vier Wochen hier. Virginia hat auf dem Schiff sich sehr übel befunden. Sie ist still und ganz ordentlich. Nur hat sie bei mir einen Krieg mit den Bedienten gehabt. Ein englischer Bedienter hält es nämlich für eine ungeheuer schmutzige Sache, wenn einer ein Messer behalten will, mit dem er nur irgend etwas angerührt hat, und nimmt es allemal weg. Virginia, die solche Grandeur nicht gewohnt ist, ließ ihr Messer nicht auf dem Teller, sondern wischte es mit Brot sauber ab und legte es ganz ordentlich aufs Tisch- tuch. Der Bediente nahm es immer weg. Ein paarmal ließ sie es sich gefallen. Darauf aber griff sie zu und verteidigte es. Bülow und ich dachten, wir sollten platzen, aber sie mußte sich ergeben. Der große Justizrat Heyer wollte neulich absolut das Wasser trinken, was man hier jedem hinsetzt, sein Glas, wenn man ge- trunken hat, hineinzustürzen. Ich mochte ihm es erklären wie ich wollte, er fuhr immer wieder drauf los. Aber von der Gräfin hast Du, ich wiederhole es, keinen Begriff. Sie spricht in einem fort, ist die chronique scanda- leuse von allen Menschen, die man nennt, vagiert mit den Händen; mit ihr auf der Straße zu gehen, ist hier gewiß lebens- gefährlich. Sie konnte neulich in der ersten halben Stunde gar nicht dazu kommen, nur ihre Suppe zu essen. Du hättest den Wunder der Leute und besondes meines alten französischen Haus- hofmeisters sehen sollen. So ein Ungetüm war ihm noch nie vor- 279