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[ Band 6 Brief 107: Humboldt an Caroline London, 4. August 1818 ]
Mythologie, und mir ist es immer, als wenn etwas dieses mystischen Altertums noch müßte in den Bergspitzen und Wäldern geahndet werden. Wenn Du das Buch der Staël gar nicht läsest, wäre es allerdings schade, allein, daß Du es bloß später liesest, ist kein Verlust. Ich bleibe dabei, daß es schwach ist. Freilich mag auch ich mich geändert haben. Als wir zusammen in Paris waren, nahm ich viel mehr Interesse an dieser Art schriftstellerischer Eigen- tümlichkeit, wie sie in den räsonnierenden Werken der Staël, in Mirabeau, Diderot und anderen aus der nämlichen Zeit ist. Es ist gewiß nicht ganz unwichtig, sich einmal damit zu beschäftigen, allein es ist auch immer nur ein untergeordnetes Interesse. Es ist nie ein wahres Absondern des Gegenstandes von sich selbst darin, und nie ein recht tiefes Eingehen in die eigene Individualität, sondern ein ewiges Vermischen von beiden. Man bleibt daher immer in der unseligen Mitte stehen, wo Einbildungskraft und Empfindung, wenn sie je angeregt werden, doch immer nur dem Verstand dienen, es wird ein künstliches Spiel mit der Sprache getrieben, bei dem man den Worten ihre natürliche und einfache Bedeutung nimmt und ihnen eine geschrobene und alambiquante unterschiebt, und wenn man noch so viel von diesen Produkten gelesen hat, so behält man doch nur als reines Resultat gewöhnliche Gedanken und schaale Empfindungen mit einer Menge unhaltbarer Behauptungen und schielender Vergleichungen. Es kann wirklich keine große Prosa ohne wahre Poesie in einer Nation geben. Wenn ich mit Dir wirklich längere Zeit allein leben sollte, freue ich mich sehr, wieder viel mit Dir zu lesen. Die ganze Zeit, die ich hier bin, ist mir nichts deutsches Neues zugekommen, und Dir ist es vermutlich nicht besser gegangen, liebe Seele. 265