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[ Band 6 Brief 107: Humboldt an Caroline London, 4. August 1818 ]
Eben kommt Dein Brief vom 13. Julius an. Er hat mich, allergeliebtestes Herz, mit der tiefsten Sehnsucht erfüllt. . . . Es ist doch immer das Übel da. Warum nur nicht lieber ich es bekommen habe. Ich nähme es Dir so unendlich gern ab, und ich weiß nicht, ich hätte es auch selbst gar nicht ungern. Gicht und gichtische Schmerzen sind natürlicher für einen Mann als für eine Frau. Es würde mich unbeschreiblich glücklich machen, wenn ich das Übel so von Dir auf mich hinüberzaubern könnte und Dich neben mir ganz und ohne Unterbrechung gesund sähe. Also roten Burgörnerschen Sand gibt es in Nocera? Ja, ja, in Italien und Spanien und gewiß auch in Griechenland und Kleinasien sind solche Stellen, bald mehr, bald weniger, von denen Anmut und Größe scheiden, und die Stoffe der Natur durch keine reizende und bewegende Idee zusammen in ein Bild gefaßt werden. Es ist auch eigentlich nicht übel. Man sieht daraus, daß es nicht genug ist, Felsen und Baum und Himmel und Wasser zu haben, daß selbst Klima und Erdlage nicht alles sind, wenn nicht besondere Gunst des Geschicks auf einen Fleck herabsteigt und alles Über- irdische daran knüpft. So ist recht eigentlich Rom, so Neapel mit der ganzen Küste und vermutlich zum allergrößten Teil Sizilien. Die Geschichte bildet sich ihren Schauplatz, nicht bloß durch das, was die Menschen daran wirklich machen und ändern, sondern vor- nehmlich durch die von Ewigkeit her bestimmte Idee, die gewisse Plätze zu gewissen Erscheinungen weiht. Daher leugne ich nicht, rührt mich nichts von allem Großen, was man von Amerika sagt. Es mag wohl Masse, Kraft, Üppigkeit, Mannigfaltigkeit darin wunderbar gehäuft sein, aber es ist nicht menschlich und nicht gött- lich, das Riesengerippe einer wilden, das Leben im Leben erstickenden Natur. In Griechenland hat mich Kreta immer sehr angezogen. Geschichtliche Spuren gibt es kaum irgend dort, den Griechen war es fast ein Barbarenland. Aber es ist die Wiege aller frühsten 264