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[   Band 6 Brief 101:    Humboldt an Caroline    London, 14. Julius 1818   ]


gesprochenen Bruch (denn der Bruch ist schon jetzt da), heraus-
kommen, tue ich es lieber. Wenn ein Mensch tot ist, kann man
nichts wieder gut machen, und ich scheue die Erinnyen und die
Nemesis. Es bringt mich auch das Schreiben nach Rußland um
nichts weiter, denn, hat er meinen Brief nicht geschickt, so beschließt
der König doch ohne ihn nicht. Als Drohung und als äußerstes
Mittel, wenn er es zu arg macht, war und ist es indes sehr gut.
Zusammen, liebe Seele, leben wir jetzt gewiß, und das ist das
einzige, was ich fest im Auge behalte, und was mich unendlich
schon in Gedanken beglückt. Aber sonst habe ich über den Erfolg
keinen bestimmten Begriff. Manchmal ist mir’s, als ließen sie
mich ruhig gehen, und das wäre mir jetzt das liebste. Ich liebe
den Streit nicht, und die Wirkung entstände doch hier auch durch
die stille Tat, wenn selbst alles ganz ruhig auseinanderginge. Lebe
jetzt wohl, einzig und innig geliebte Seele. Ewig Dein H.


102. Caroline an Humboldt                    Nocera, 17. Julius 1818

Es bleibt mir noch manches in Deinen letzten Briefen zu
beantworten übrig, meine teure, geliebte Seele. Fürchte
ja niemals, indem Du Dich der Vergangenheit und der
geliebten Toten erinnerst, bittre Gefühle des Schmerzes in mir zu
erwecken. Nein, sie sind süß, sie haben sich im stillen Vorschreiten
der Zeit mit meinem Leben verwebt. Was mir sehr weh getan
hat und noch immer tut, ist, gar kein Bild von dem holden Wilhelm
je gehabt zu haben, nichts, woran die Sehnsucht das schwankende
Bild der tiefsten Liebe und Erinnerung knüpfen kann. Wir waren
zu bestürzt, zu betroffen und auf die schmerzlichste Art durch Theodors

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