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[   Band 6 Brief 86:    Caroline an Humboldt     L'Ariccia, Freitag, 29. Mai 1818   ]


nahm mich in seiner eigenen auf. Wir gingen noch spazieren und
sahen den See. Ich hatte gewünscht, in unser altes Casino zu
kommen, allein ich fand es verschlossen. Der Besitzer ist in Rom,
allein heut ist er hier, und ich hoffe, den Nachmittag hineinzu-
kommen. Es ist mir ein tiefes Bedürfnis, noch einmal die Zimmer
zu sehen, wo ich Wilhelms letzten, brechenden Blick in mich auf-
nahm. —
Den Mittwoch früh gingen wir nach Albano hinab, sahen die
Sammlung der zwischen Castello und Marino gefundenen Vasen,
eine große Anzahl und wahrscheinlich aus einem sehr hohen Altertum.
Mittwoch Nachmittag ritten wir über den Weg beim Park, die
Kapuziner und Castello zum Emissär hinab. Einen schöneren Mo-
ment sah ich beinah nie für die Vegation als diesen unten am See.
Alles stand in unglaublicher Fülle. Der schwere Baum drängt
sich wie ehedem durch die Spalten und ruht auf dem Jahrhunderte
alten Gemäuer und breitet seine Zweige darüber aus, als sei er
das Dach. Ich sah den Weg, so oft an Deinem Arm gemacht,
das Nymphäum, den See, alles mit tiefwehmütiger Freude
wieder.
Gestern war das große Madonnenfest in Genzano, l’infiorata.
Auch wir gingen den Nachmittag hin. Die Hauptstraßen von
Genzano, durch welche die Prozession ging, waren mit einem Blumen-
teppich bedeckt, der eigentliche Weg Lorbeerblätter, in die gar künst-
lich Meander von Blumen angebracht sind, in der Mitte Namens-
züge, Wappen usw., eine ungeheure Farbenpracht. Den Morgen
waren wir zu Esel in Palazzuolo, dem einsamen Ort, gewesen.
Der Weg bleibt mir mit der schönste von allen und die Aussicht
von dort auf den See und seine Ufer.
Wie wir gestern abend *) von Genzano zurückkamen, fanden
wir einen aufgeputzten Geburtstagskuchen mit Lichtern. Wach und

———
*) Gabrieles 16. Geburtstag.

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