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[   Band 6 Brief 82:    Humboldt an Caroline    London, 15. Mai 1818   ]


Ich habe diese Ideen einmal in einem Aufsatz ausgeführt, den ich
in Rom machte, aber ich hatte damals die Elginschen Sachen und
jetzt noch die aus Ägina nicht gesehn. Auch hatte ich es damals
übertrieben, wie es einem leicht geht, wenn man von einer Idee
frappiert ist. Ich hatte die Kunst gewissermaßen ganz auf die
Mathematik gebaut. Es ist in der Tat auch ausnehmend schwer,
diese Idee frei genug zu halten. Legt man zu viel Gewicht auf
sie, so wird es einseitig und dadurch unwahr, tut man das Gegen-
teil, so verwischt sich alle ihre Eigentümlichkeit.
Außer dieser wahren Idealität der Kunst, die zugleich ihre
Größe und ihre Schönheit beurkundet, kann nun noch eine bestimmte
Idee in Kunstwerken hinzukommen, und wirklich scheint dies bei
den äginetischen Figuren in den Köpfen der Fall zu sein. Auch
du sagtest mir, daß ein merkwürdiger Unterschied zwischen den
Leibern und ihnen sei. Waren von alter Zeit her gewisse Phy-
siognomien einmal bei Göttern oder Heroen geheiligt, so konnte
die spätere Kunst sie traditionell beibehalten und nachmachen. Etwas
Ähnliches ist selbst bei den Körpern möglich, und es wäre wohl
denkbar, daß man in späterer und schönerer Zeit der griechischen
Kunst auf diese Weise Bildsäulen gemacht hätte, in denen man, in
der wahrhaft schönen Form doch die vorzugsweise hervortretende Be-
stimmtheit der Umrisse als historisch charakteristisch beibehalten hätte.
Es ist jetzt auch der große Memnons, oder vielmehr Osiris
Kopf hier. Man sieht ihn noch nicht recht gut, weil er noch auf
dem Hofe liegt. Man ist auch wegen des ungeheuren Gewichts
verlegen, wo man ihn aufstellen soll. Die Nase ist etwa neun
Pariser Zoll lang, danach kannst Du die Größe beurteilen. Es ist
der erste wahrhaft schöne ägyptische Kopf, den ich gesehn habe,
wirklich eine grandiose Ruhe, Stille und Schönheit der Züge.
Bloß der Mund ist nicht schön, er hat etwas Negerartiges, sehr
starke Lippen. Hamilton meint aber, daß sich das bei altgriechischen

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