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[   Band 6 Brief 77:    Humboldt an Caroline    1. Mai 1818   ]


daß es mich ordentlich angezogen hat. Gestern kam sie ausdrücklich
an mich heran, um mir sechs der Töchter zu zeigen (die siebente
ist noch ganz klein und bei der Amme, denn das Selbststillen ist
hier nicht Mode). Sie waren von vier bis zwölf Jahren etwa,
alle gleich weiß gekleidet und standen nebeneinander in absteigender
Größe. Die Kinder sind hier hübscher als in irgendeinem Lande
der Welt und würden Dir mehr als sonst vieles hier gefallen.


78. Caroline an Humboldt                            Rom, 2. Mai 1818

Mittwoch abend hat das Fest in der Villa Schultheiß vor
Porta del Popolo, nahe bei dem Arco scuro stattgefunden,
was die Künstler dem Prinzen von Bayern als Dank
für das Gedicht gaben. Über der Tür des großen Saales war ein
St. Lucas, Schutzpatron der Maler, von Sutter transparent gemalt.
Er bittet den Herrn, einzutreten und zu schauen, was ihm seine
Schüler bereitet haben. Den Fond des Salons füllte das große
Transparent, das in drei Hauptbilder eingeteilt war. Das Mittel-
bild stellte die Poesie vor, wie sie mit großen, weit ausgebreiteten
Flügeln unter einem Eichbaum sitzt, höher thronend als ihre Töchter,
die bildenden Künste. Die Musik sitzt ihr rechts zum nächsten und
unter ihr die Malerei. Die Architektur und Skulptur gruppieren
sich links. Der Vordergrund war mit den köstlichsten Blumen be-
wachsen, im Hintergrund war eine äußerst romantische Landschaft
zu sehen, auf der Seite der Skulptur und Architektur griechische
Tempel, auf der der Malerei und Musik herrliche Gebäude des
Mittelalters. Das Bild rechts stellte dann alle großen Beschützer
der Kunst dar, z. B. August und Perikles, Mäcen, den Papst

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