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[ Band 6 Brief 67: Caroline an Humboldt Rom, 1. April 1818 ]
67. Caroline an Humboldt Rom, 1. April 1818 Meine geliebte Seele! Ich bin gestern zum ersten Male wieder aus gewesen, auf Anraten des Arztes . . . Es verbreitet sich von Berlin aus ein Gerücht, die Zusammenkunft der hohen Häupter werde in Venedig sein. Ach, wenn Du dann hinkämst! Von da holtest Du mich wohl in der Ewigen Stadt ab und begrüßtest wieder den Kranz dieser seligen Hügel. Nein, das wird nicht sein, das wäre zu schön. Du schreibst von Gabrielles Brief an Dich, ich habe ihn ge- lesen, und er hat mir ungemein gefallen. Er war auch wirklich sie selbst. Sie hat eine tiefe Innerlichkeit, und die frühe Liebe mußte unter diesem Verhältnis der Trennung und Sehnsucht viel in ihr entwickeln. Menschen, die durchaus nichts wissen und nichts wissen können, sehen Gabriellen die Liebe und die stille Sehnsucht an. Auf ihrem Bild *) sitzt sie doch, wie ich schon geschrieben zu haben glaube, und läßt eine Turteltaube in einem Gefäß von Giallo antico trinken, auf dessen Rand die zweite Taube sitzt. Ihr Blick schweift darüber weg. Ich sagte es einmal Schadow als einen kleinen Tadel, daß sie die Taube nicht ansähe. »Nein«, antwortete er mir, »es ist dieser Blick charakteristisch in Fräulein Gabrielle, ihr Blick schweift immer so über die Gegenstände und sucht etwas, was sie wohl nur in sich sieht. Thorwaldsen ist auch der Meinung gewesen, daß ich dem Bilde sehr schaden würde, wenn ich den Blick auf die Taube fixierte, und hat es so empfunden wie ich.« Beschäftigen tut Gabrielle sich so viel, als ihr Zeit vom Schreiben übrigbleibt. Du mußt bedenken, wieviel man hier auf das Sehen Zeit verwendet. Sie hat viel Sinn für Bilder und hat ihn hier sehr ausgebildet, sie treibt viel Musik, hat eine ungemein ——— *) Porträt von Schadow siehe Gabriele v. Bülow, ein Lebensbild. 164