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[ Band 6 Brief 57: Humboldt an Caroline London, 3. März 1818 ]
weit über die für gegebenes Glück hinausgeht, in der man fühlt, daß man dem anderen sein Sein und sein Wesen selbst schuldig ist, und wenn sich das auch nie aussprechen läßt, so denkt man doch gern, daß ein tiefer, verstandener Laut hinübergeht. — 58. Humboldt an Caroline London, 10. März 1818 Es gibt hier eine nicht mehr junge Frau, die eine ordentliche Werkstatt hat und in Marmor arbeitet. Ich habe neulich ihre Bekanntschaft gemacht und werde sie besuchen. Als ich mit Schiller in Jena war, behauptete ich immer, eine Frau könne kein Bildhauer sein und keine Tragödie schreiben, und Schiller war auch meiner Meinung. Wir hatten damals manchmal sehr komische Ideen. Hamilton, von dem ich Dir oft schrieb, hat mir gesagt, daß sein Bruder, der in Konstantinopel bei der englischen Gesandtschaft ist, ein arabisches Manuskript gefunden hat, von einem Dichter Anta *), vor Mahomet, ein Roman, der der wahre Ursprung der abendländischen Ritterromane sein soll, da man bisher nicht wußte, woher diese Dichtungen kämen. Es ist in ganz anderem Geschmack, wie die Mille et une nuits. In diesen wird das Stadtleben be- schrieben, in dem nun gefundenen das Leben der Ritter und ihre Kämpfe im Lande. Frauen und Pferde spielen eine große Rolle, wie natürlich. Sein Bruder hat es übersetzt und ihm Proben geschickt, die er mir mitteilen will. Es soll sehr treu übersetzt sein und ist auch eine fortlaufende Erzählung, nicht so abgerissene Stücke ——— *) Antara el Absi, berühmter arabischer Dichter Mitte des sechsten Jahrhunderts. 144