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[ Band 6 Brief 43: Humboldt an Caroline London, 20. Januar 1818 ]
43. Humboldt an Caroline London, 20. Januar 1818 Ich habe gestern, liebe Li, Deine beiden Briefe vom 27. De- zember und 1. Januar bekommen, die mich sehr glücklich gemacht haben. Es schmerzt mich aber sehr, daß Du einen Posttag ohne die unsrigen geblieben warst. Ich begreife nicht, wie es zugeht. Sie werden vermutlich des leidigen Aufmachens wegen zurückbehalten, denn alle, die ich von Dir bekomme, tragen die sichtbarsten Spuren davon, meine vielleicht weniger, weil man mein Wappen haben wird, allein Du siegelst mit wechselnden Kameen. Was Du von der Sehnsucht sagst, ist unendlich schön, ich fühle es wie Du. Wir sind ja in demselben Fall mit Bülow und Gabriele, und gewiß, was sie auch sagen mögen, mit tieferer und stärkerer Liebe gewesen, und hernach im Leben öfter, aber nie kann man in dem Schmerze der Sehnsucht auch die zarte und erhebende Stimmung des Gefühls verkennen, die es weniger irdisch macht als im Genusse der Gegenwart. Die Empfindung ist von so bezaubernder und wirklich überirdischer Natur, daß sie den, der recht tief liebt, auch in der Gegenwart nicht ganz verläßt. Denn wie nahe er ist, möchte er noch näher sein, wie tief er in das Wesen blickte, möchte er ganz in ihm weben können, man möchte unmittelbar und in seiner eigenen Natur erfassen das Unsichtbare und Göttliche, was aus den geliebten Zügen spricht, und gelangt doch nie dahin. — Darin überhaupt liegt der große und entschei- dende Unterschied unter den Menschen, ob ihnen das Sichtbare in Umriß, Farbe und Bedeutung Sache und Genuß an sich ist, oder nur Hülle des Unsichtbaren, zart andeutendes Symbol. Im ersten Fall, der aber glücklicherweise wohl in keinem rein ist, mag man glauben, was man will, so trägt man das irdische jenseits der Wolken hinüber, im letzten steigt der Himmel in das Sinnlichste 105