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[ Band 6 Brief 36: Humboldt an Caroline London, 29. Dezember 1817 ]
ja nicht, ohne daß, wie er es auch anfangen möge, wider seinen eigenen Willen sogar, er darin reife, und sein Zweck auf Erden ist erfüllt, wenn er reif ins Grab sinkt. Wenn man das wunderbare Gedanken nennt, so sind es doch natürliche am Ende eines Jahres, und ich empfinde nun einmal so. Wenn ich noch einige Jahre ungestört und ruhig mit Dir leben kann, so mache ich keine weitere Forderung an die Erde. Ich kann vielleicht noch manches tun, manches hervorbringen, manches hinterlassen, allein ich werde nie einen Wert darauf setzen, so wenig als auf das, was ich bisher so getan haben mag. Das Beste in einem Menschen geht nie aus ihm heraus, als wenn es ein anderer in lebendiger Vertrau- lichkeit der Gedanken und Gefühle unmittelbar von ihm entnimmt, und dann kehrt es allemal wieder höher und reicher in ihn zurück. Auch Du, teures Herz, freust Dich, das bin ich gewiß, daß wir nun in so wenigen Tagen ein Jahr schreiben, das uns nicht ganz mehr trennt. Es mag nur eine Einbildung sein, da wir uns doch vielleicht erst am Ende wiedersehen, aber es ist eine süße und lieb- liche Täuschung, die ich mir nicht nehmen möchte. Möge nur sonst auch das kommende Jahr Dir froh und beglückend und heiter sein. Liebe mich in diesem neuen Jahr, wie in den vielen, die hindurch Du mich so unendlich beglückt hast. Ich weiß, süßer, teurer Engel, daß diese Bitte unnütz ist. Was wir einander gegenseitig sind, ist unsere eigentliche Natur und läßt sich nicht von uns selbst trennen. Aber die Liebe ist immer eine freie, und wie man sein möge, unverdiente Gabe und fordert Bitte und Dank. Grüße auch Wilhelm und Gustav von mir im neuen Jahr. Keine Zeit mindert die Wehmut, mit der man ihrer gedenkt. Wenn man abnimmt, was der erste Moment eigentlich Schreckendes und Bitteres hat, so wächst vielmehr der Schmerz, die geliebten Bilder in immer größerer Ferne, in schwankenderen Umrissen zu sehen. Obgleich Du nach Deinem letzten Briefe wieder hergestellt 87