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[   Band 6 Brief 33:    Caroline an Humboldt     Rom, 25. Dezember 1817,   ]


und meine, Gottlob auch Deine Bildung, ist also in dem Lauf
der Jahre schnurstracks auseinandergegangen. Ich darf sagen, ich
verstehe jenes Leben, was uns in den großen Überresten des Alter-
tums überkommen ist, jetzt mehr wie je, und es gestaltet sich davon
ein Bild in meiner Seele.
Ingenheim bessert sich. Nach dem Verlauf der neun schreck-
lichen Tage sind einige helle Momente eingetreten. Er fängt auch
an zu schlafen. Es ist dies Besserwerden über alle Erwartung.
Caroline ist leidender . . .
Ich habe kürzlich ein altes Bild hier gesehen, was ein Bäcker
auf Piazza Colonna besitzt und jetzt viel Aufsehen hier macht.
Es ist von Fiesole und stellt das jüngste Gericht vor. Der Erlöser
sitzt im Himmel als Richter. Gleichsam zwischen Himmel und
Erde schwebt ein Engel ganz aufrecht stehend, gerade unter dem
Heiland, und zeigt das Kreuz. Unten ist die Auferstehung und
links die Verdammten, rechts gehen die Seligen ein. Schönere,
seligere Gesichter, zartere Gestalten, ein jeder von seinem Schutz-
engel geleitet, der wieder selig in ihrer Wonne ist, sah ich nie.
Es ist eine solche hohe, süße Freude in dem Bilde, die einen zu
Tränen rührt, denn man muß an den denken, dessen schönes Ge-
müt solche Gestalten in sich trug.
Ich sende heut den Brief eilig ab, um die Post nicht zu
versäumen.                              Ewig Deine Li.


34. Humboldt an Caroline                  London, 25. Dezember 1817

Ich kann Dir nicht sagen, wie mich die Blitze und Donner
am 6. Dezember in Deinem Briefe gefreut haben. So
ein entreprenanter Himmel im Winter gegen den starren
in Deutschland und den trägen hier! Es ist der wahre alte, noch

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