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[   Band 6 Brief 24:    Humboldt an Caroline    London, 29. November 1817   ]


Es ist überhaupt im Schicksal der Welt und der Menschen
eine eigene Erscheinung, daß gerade das Höchste am meisten dem
Leiden und dem Unglück ausgesetzt ist, was sichtbar darauf hin-
deutet, daß Genuß und Leiden, Glück und Unglück, wen sie auch
treffen mögen, als etwas angesehen werden soll, das bestimmt ist,
in noch Höherem aufzugehen. Man verliert sich in sich selbst, wenn
man diesen Gedanken nachhängt, aber ich leugne es Dir nicht, ich
lebe in ihnen und rede gern mit Dir davon, die Du so gleich-
gestimmt darüber gesinnt bist, wie es denn überhaupt keinen Klang
auf Erden gibt, der nicht seine volle Erwiderung in Dir fände.
Darin bist Du einzig, und darin wirst Du von niemand je erreicht
werden. Ich, teures Herz, das meinst Du gewiß auch, überhebe
mich sicherlich nicht, aber es ist auch wieder mein Verdienst nicht,
denn seit ich denken kann, hat mich dies gegenseitige Walten und
Einwirken des Mannes und der Frau beschäftigt, es ist in mir
zu einer mir eigenen Schöpfung geworden, und vor solcher Klarheit,
die mir dadurch geworden ist, muß jede Selbsttäuschung verschwinden.
Daß Du Albano und Tivoli wiedergesehen, ist mir sehr lieb.
Überhaupt ist mir Dein Aufenthalt in Italien, so viel ich dadurch
auch selbst entbehre, doch ein wahrer Trost. Es ist eine Erneuerung
großer und schöner Bilder, worin weit mehr, wie Du es aufnimmst,
als bloßer Genuß liegt, es knüpft auch das Band zwischen Italien
und uns fester, da Rom doch unsere Heimat bleiben wird; wer
weiß, wie sich noch alles gestaltet. Du hast, wenn ich auch gewiß
mit unendlicher Rührung erkenne, daß ich Dir gefehlt habe, doch
in Deinem Leben wieder eine Epoche gemacht, deren Eindruck
dauernd sein wird.
Ich muß heute früher als gewöhnlich ausgehen. Lebe innigst
wohl, teure innigstgeliebte Seele!       Ewig Dein H.

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