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[   Band 6 Brief 24:    Humboldt an Caroline    London, 29. November 1817   ]


möchte ich auf immer daran verzweifeln. Aber dies kann, da er
sonst ganz gewiß eine unbegrenzte Anhänglichkeit zu Gabriele hat,
nie wirkliche Mißverständnisse hervorbringen, wohl Mißlaute, un-
erwiderte Anklänge, die oft einen weiblichen Busen sehr schmerzen.
Aber wo ist das nicht? Ich möchte sagen, daß es nur da ganz
fehlt, wo auch die Frau nicht die wahrhaft schöne Regsamkeit und
Feinheit des Gefühls hat. Ich glaube nicht, daß je zwei Menschen
inniger miteinander vertraut, glücklicher durch einander, und mehr
in immer steigender und gleich natürlich durch die Zeit und die Er-
fahrung nach und nach anders und anders, aber immer gleich harmo-
nisch und mit wachsender Innigkeit umgestalteter Liebe gelebt haben,
als wir beide. Aber, liebes, teures, süßes Kind, doch bin ich sicher,
daß auch mir es begegnet ist, Dich manchmal zu verletzen, selbst Dir
weh zu tun. Daß sich das Starke mit dem Zarten gattet, kann
man nur von dem Mann in seinen besten Momenten sagen, die
in keinem immer vorherrschen, und wenn das Starke nur ein wenig
überschwankt, so leidet das Zarte in seinem Tiefsten und Besten.
Ich weiß sehr gut, daß es wieder auch Augenblicke gibt, wo die
Frau wohl gegen den Mann Anrecht hat, aber das ist nie das-
selbe. Es kommt immer in den Guten aus einer Quelle, die er
selbst, entweder an sich, oder wegen dessen, womit es zusammen-
hängt, ehrt und liebt, und es ist nie eigentlich verwundend. Es
kann entbehren lassen, verstimmen, aber das weibliche Gemüt hat
einen solchen sich immer so sichtbar ergießenden Schatz von Liebe,
daß diese jeder einzelnen Äußerung, die der Mann vielleicht anders
erwartete, auch Milde mitteilt. Im Manne kann das nicht einmal
so sein. Das macht die Verse, die Du aus dein sehr hübschen
Gedicht von Lenz anführst, so unglaublich wahr, und das flößt mit
dem ganzen weiblichen Dasein ein Mitleiden ein, das eine der
schönsten Empfindungen im Leben ist, und auf die man eine ganz
eigene Welt der Dichtung bauen könnte.

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