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[ Band 6 Brief 13: Humboldt an Caroline London, 5. November 1817 ]
Alter, die eigentliche und wahre Reife, nicht vorzugsweise zu schätzen weiß. Vorgestern war ich einen ganzen Vormittag in dem Britischen Museum und sah die Elginschen Marmor wieder und die Phiga- leischen zum erstenmal. Die letzten werden hier nicht genug ge- schätzt. Allerdings ist auch die Ausführung nicht sorgfältig und graziös, und der Stil hat wohl eine gewisse Roheit, vorzüglich ist mir aufgefallen, daß man die Körper schlanker erwartet. Sie haben eine gewisse, nicht angenehme Breite. Aber die Komposition und die Mannigfaltigkeit der Gruppen ist über alle Beschreibung, da- bei noch das Leben. Auf einem Pferd hängt nur ein Fuß einer Amazone, sie ist auf der anderen Seite herabgestürzt, wo man sie nicht sieht, und in diesem Fuß ist eine Bewegung und ein An- klammern, von dem man keinen Begriff hat. Die Elginschen Marmor sind freilich in einem viel edleren, erhabeneren Stil. Von den Statuen macht man sich immer nach dem Gips eine un- vollkommene Idee. Es sind einzelne Partien, die das Wetter nicht treffen konnte, ganz erhalten, daß nichts an der Oberfläche fehlt, von der Schönheit macht man sich dann keine Idee. Der Hauptcharakter bleibt immer das Grandiose, die Lebendigkeit und der Reichtum. Alles andere kommt einem dagegen, wie schön es sei, klein, starr und ärmlich vor. Ich werde gewiß sehr oft hin- gehen. Es ist der größeste Genuß, den man irgendwo haben kann und verdient für Dich allein die Reise. Ich freue mich un- endlich darauf, diese Sachen mit Dir zu sehen. Sehr wundern werden dich die Centauren, vorzüglich ihre Köpfe. Sie haben gar keinen Ausdruck roher und wilder Leidenschaft, sondern stehen in der Mitte zwischen Gesichtern von Faunen und alten Philosophen, mit denen sie vorzüglich die Ruhe teilen. Einige Basreliefs sind so wunderbar erhalten, daß auch keine Nase und Zehenspitze fehlt. 39