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[ Band 6 Brief 11: Humboldt an Caroline London, Portland Place 17, ]
und wahrhaft versteht. Es zeigt jedoch, daß man sich noch jetzt mit mir beschäftigt. Von der Staël *) letzten Zeiten hat Alexander uns viel erzählt. Sie ist die letzten drei Monate in einem fürchterlichen Zustande gewesen, den sie aber wenig gefühlt hat, weil sie an vielen Teilen des Leibes ganz gelähmt und erstorben war. So hatte sie vom langen Liegen ungeheure Wunden auf dem Rücken, die sie aber nicht schmerzten. Nur soll sie eine erstaunliche Todesfurcht gehabt haben, und in der letzten Zeit nicht einmal gern eingeschlafen sein, aus Furcht, nicht wieder zu erwachen. Dies ist wirklich schauder- haft. Ich hätte sie selbst in der Zeit sehen mögen, so wage ich nichts zu sagen. Es ist Berichten über solche Sache nicht viel zu trauen. Allein freilich hatte die Staël nicht die natürliche Größe und Tiefe der Empfindung, in der Leben und Tod ineinander übergehen, dem ersten die unterjochende Anziehungskraft und dem letzten seinen Schrecken nehmen. Sich den Armen des Schicksals nicht anvertrauen wollen, nicht mit Ruhe und Heiterkeit denken zu können, daß man vielleicht nur in ein anderes Dasein übergeht, selbst den Schlaf zu fürchten und Mißtrauen in die ganze Natur zu setzen, ist mir eine so schauderhafte Idee, daß sie mir, wenn ich mich dessen für fähig hielte, das ganze Leben verbittern würde. Ganz so ist es gewiß auch bei der Staël nie gewesen. Aber die arme Frau konnte eigentlich nie dahin kommen, innere Harmonie und Ruhe zu gewinnen. Von ihrer Kindheit an haben die Ein- drücke der Welt das stille Entwickeln ihrer Kräfte gehindert, und sie ist nie einem Menschen wahrhaft nahe gekommen, der eine große Macht hätte über sie ausüben können. Ihr Tod ist sehr leicht und sanft, obgleich in der von ihr ge- fürchteten Art gewesen. Die Randall, so heißt sie ja wohl, war ——— *) Germaine de Staël-Holstein, geb. 1766, † 1817, Tochter des fran- zösischen Finanzministers Necker. 32