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[   Band 6 Brief 7:    Humboldt an Caroline    London, 22. Oktober 1817   ]


muß man vorausbestellen. Dann muß man um 5 Uhr essen.
So umständlich ist das alles. Denn da das Volk früher ißt
und sich hier nicht nach den Vornehmen richtet, so geht das
Schauspiel an, ehe diese sich zu Tisch setzen. Demungeachtet
dauert es bis gegen Mitternacht, wenn man das zweite Stück
abwartet. Mit dem Verstehen hat es seine Schwierigkeiten im
Anfang immer. Aber man hat da ein treffliches Mittel. Man
verkauft fast von allen Stücken beim Eingang einen Abdruck,
und wenn man nun nachliest, so hört man zugleich die Aussprache
sehr gut.
Romeo und Julia ist nicht mein Lieblingsstück. Aber das
Werk eines großen Genius ist immer ein großer Genuß. Romeo
spielte schlecht, aber Julia, Miß O’Neill, sehr gut. Indes ist das
Spiel im Ganzen hier nicht dem deutschen, selbst wenn es mittel-
mäßig ist, vergleichbar. Es hat freilich mehr Natur als das
Französische, aber es ist auch meistenteils nur die Darstellung der
äußeren Leidenschaft, und der Geist und das Gemüt fehlen. Das
kann auch nicht anders sein. Die ganze Nation ist zu sehr an
die Wirklichkeit gebunden, und so wird das Geistigere und Abge-
zogenere in der Empfindung, wenn nicht als ein Gedicht, wenigstens
wirklich als Dichtung behandelt. Beim Theater kommt nun hinzu,
daß, wie ich schon sagte, die Gebildeten nicht oft und nicht wie zu
einem wahrhaften Genuß es besuchen, daß es für den großen
Haufen nur eine Manier, die Zeit hinzubringen und sich zu
belustigen ist, und daß es zugleich zum Sammelplatz aller Aus-
schweifungen dient. Denn im Foyer, den eine anständige Frau
nicht besucht, schweifen eine wirklich zahllose Menge von Mädchen
herum, die gewisse Logen auch ganz allein inne haben. Mit dem
allen muß das Theater sinken.
Ich habe nun ein Haus genommen und ziehe Mittwoch ein,
Portland Place 17. Ich bezahle 680 Pfund Miete bis zum

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