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[ Band 5 Brief 158: Caroline an Humboldt Rom, 16. Juni 1817 ]
Oh, ich habe es nie sehen können, ohne an Wilhelm zu denken, ich selbst ging mit ihm einmal die steile Anhöhe vom Fahrweg an der Tiber hinauf, er war so heiter und froh und kindlich vergnügt. Seine schöne Hülle ruht nun schon so lang in der schönen Umgebung, in welch einer Form mag das liebende Gemüt, die holde Seele sich bewegen? Weiß sie noch von uns, von den vielen Tränen, die um ihn geflossen sind, wie wir noch von ihm wissen? Ach, diese Fragen löst nur der lösende Tod. Er löst des Lebens tiefstes Rätsel. — Sonnabend war ich mit Thorwaldsen in dem Studium, nahe an der Piazza del Popolo, wo die Aginetischen Statuen restauriert werden. Die meisten sind vollendet. Diese Statuen sind etwas ganz Neues, noch nie Gesehenes. Sie sind wohl älter wie die schöne griechische Bildhauerei und mitunter sehr mitgenommen, ich meine der Marmor angefressen. Sie haben auf dem Frontone des Tempels gestanden, auf jedem eine Gruppe, und stellen einen bestimmten Kampf der Griechen vor. Von dem einen meint man, es sei der um den Patroklos. Minerva steht in der Mitte, neben ihr zwei Figuren, die man für den Ajax und Hektor hält. Patroklos liegt nicht gesunken, aber eben fallend nieder. Es ist etwas ganz Un- beschreibliches in der Gestalt und den Punkten, aus denen sie ruht und dem Leben und der Bewegung, die dadurch hineinkommt. Eine andere Kriegergestalt zieht sich den Pfeil aus der Brust. Diese Figuren haben ganz dünne, überall ausgeschnittene und in die Architektur des Frontons eingefügte Plinten gehabt. Sie waren bemalt, Ver- zierungen daran vergoldet, und alles scheint auf die höchste Eleganz und Schmuck Anspruch gemacht zu haben. Die eine Gruppe war in einem etwas größeren Maßstab als die andere. Von der kleineren sind mehr Figuren erhalten. Solltest Du Hirt noch in Deutschland sehen, so laß Dir genau davon sagen. Das Allerwunderbarste an diesen Figuren sind die Köpfe, und es muß eine uns unerklär- 336