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[ Band 5 Brief 151: Caroline an Humboldt Rom, 3. Junius 1817 ]
auf das Forum zu tun, und dann noch nach der Pyramide. Der Abend dämmerte, die Sonne war gesunken, der Himmel rein und gleichsam die Natur in stiller Erwartung des aufgehenden Mondes. Ich ließ in das Portone hineinfahren und stieg dann aus, der Recinto war ordentlich verschlossen, der Guarda portone öffnete die kleine Schmerzenstür, und Du kannst denken, wie mir ward. Die Pinie auf Wilhelms Grabe steht hoch und schlank und kerzen- gerade, ein kräftiger Baum, von dem ich genau die Höhe zu neh- men suchen werde, um sie Dir zu senden. Zwei Zypressen allein sind der Verwüstung der neapolitanischen Truppen entgangen, die alle übrigen nebst der Tür zu einem Biwakfeuer verwendet haben. Die drei übriggebliebenen stehen beinah zum Kopf und zu den Füßen des kleinen Grabhügels. Ein eigener Schauer wehte an dem stillen Ort, wo die Erde so viel Tränen und unseres Lebens tiefste Schmerzen deckt. Die Dämmerung nahm mit jeder Minute zu, Lady Temples *) Monument schien mir jedoch unbeschädigt, ich umging es nur flüchtig und trat einen Augenblick vor die Pyra- mide und vor die anderen Grabmäler. Morgen oder übermorgen hoffe ich aufs neue hinauszufahren. Es war mir still und wohl geworden, nachdem ich endlich dort gewesen war. Den Sonntag morgen brachten wir meistenteils in St. Peter zu. Gestern vormittag waren wir fünf Stunden im Vatikan. Die Ein- richtung ist sehr groß, Du erinnerst Dich gewiß des Museums Chiara- monti, durch dieses gelangt man in das Belvedere, und so immer weiter, von Saal zu Saal, von Halle zu Halle, hinauf in die Loggien, in die Kapelle von Fiesole, die Säle, in denen die Arazzi auf- gehängt sind, die Stanzen, und endlich in die Sala Borgia. Wie eine ungeheure Kuppel wölbt sich über einem mehr und mehr das Gebäude der Kunst. Sinnend bleibt man stehen, welche Zeiten, welche Schicksale erscheinen und verschwinden und die Menschheit ——— *) Vgl. Bd. III., S. 269 f. 319