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[   Band 5 Brief 149:    Humboldt an Caroline    Berlin, 29. Mai 1817   ]


149. Humboldt an Caroline                             Berlin, 29. Mai 1817

Ende Mai sind wir jetzt, holde Seele, und mein Schicksal
ist um nichts klarer. Die Dinge hier verwickeln sich mehr,
und ich sehe noch nicht recht ein, wie das Ende sein
kann, vorzüglich nicht, wann der Staatskanzler fortkommen wird.
Was jetzt vorgeht, ist eine Aktion gegen den Finanzminister, der
nicht verfehlen wird, eine Reaktion zu machen. Alles das spinnt
sich unstreitig noch bis zum Julius hin.
Morgen früh gehe ich nach Neuhardenberg, wo der Kanzler
ist, um übermorgen seinen Geburtstag mit ihm zu feiern. Die
Nacht vom Sonnabend zum Sonntag kehre ich zurück, weil ich
Sonntag früh Konferenz habe. Er ist doch immer so gut und
freundschaftlich, daß man ihm gern eine solche Aufmerksamkeit be-
weist. Gneisenau, der Dich sehr grüßt, kommt auch hin.
Durch die Herz, die viel Empfehlungsbriefe will, werde ich
Cicognara selbst schreiben. Die Herz ist nach Zossen zu einem
Prediger gereist. Die Leute sagen, um sich taufen zu lassen, ich
glaube aber nicht daran, sie hätte es mir sonst wohl gesagt.
Den Goethe werde ich gewiß lesen. Ich habe sein zweites
Heft Rhein und Main durchblättert. Die Beschreibung des
Festes an der Rochuskapelle ist hübsch. Aber die erste Abhandlung
über das Mystische in der Poesie und Kunst ist ziemlich unbe-
deutend, bloß historische Zusammenstellung. Dazu greift er an,
was man doch gern hat und nicht tadeln kann oder mag. So
sind die Stellen, die er als getadelt aus den Ergießungen eines
Klosterbruders anführt, immer anziehender als sein eigener Aufsatz.
Das Ganze ist wirklich matt.
Lebe nun wohl, es ist über Mitternacht, und ich habe noch-
zu tun und muß morgen um 6 fort. Ewig Dein H.

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