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[ Band 5 Brief 145: Humboldt an Caroline Berlin, 12. Mai 1817 ]
Denn von dieser Unwandelbarkeit der Empfindung in ihre kleinste und tiefste Eigentümlichkeit hinein bist Du gewiß überzeugt. Es ist gar nicht bloß, daß man sich immer liebt und immer gleich liebt; aber daß man auch immer mehr und steigend dasselbe einer im andern entdeckt und sucht, was einen vom ersten Augenblick an glück- lich gemacht hat, nur daß man sich damals weniger dessen bewußt war. Überhaupt bleibt immer das tiefste und anziehendste Studium das, was man an sich und anderen und vor allem an denen macht, die man liebt. Ich würde es nie aussprechen und schildern können, wie ich das eigentliche und wahre Dasein des Menschen und der Natur in Dir gesehen und erkannt habe, und noch immerfort sehe und erkenne. Unendlich vieles wäre mir ewig dunkel und unver- standen geblieben, wenn ich Dich nicht so empfunden und besessen hätte. Allen Menschen mag es wohl in gewissem Grade so gehen, aber mir ist es doch vorzüglich eigen, mehr auf den Menschen und die Natur als solche, als auf alle gemachten Verhältnisse, wie wichtig sie sein mögen, zu achten, und ohne ändern und modeln zu wollen, nur eine reine Freude zu haben an dem, was ist. Ich bin bei weitem mehr und in allem kontemplativ als handelnd und bin ins Handeln wirklich nur so durch den Zufall gestoßen. Darum hätte ich auch sehr gern, ehe ich stürbe, einige Jahre bloße Ruhe, reine Abgezogenheit von den irdischen Dingen der Welt. Es ist nicht hübsch, so ins Grab zu taumeln aus allen äußeren Verhält- nissen und Verwirrungen, und wenn Menschen Mönche und Ein- siedler werden in ihrem Alter, ist es derselbe nur sich anders äußernde Instinkt. Ich habe gar keine Besorgnis vor dem Tode, und es käme mir gar nicht menschlich vor, ihn nicht, wie er ist, mit dem Leben befreundet und verschwistert, anzusehen. Aber es würde mir sein, als hätte meinem Leben etwas gefehlt, wenn ich nicht so eine leere, rein müßige Zeit vor ihm gehabt hätte. Dennoch muß man jetzt noch im Strome fort und sich ohne Schonung und Be- 308