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[   Band 5 Brief 142:    Humboldt an Caroline    Berlin, 2. Mai 1817   ]


Berg zuerst siehst. Daß, was dem Herzen so nah ist, in der
Wirklichkeit so fern sein kann! Und doch hängt daran das Tiefste
im Glück und im Unglück des Lebens. Lebe wohl, mein innig-
geliebtes Herz. Ewig mit ganzer und inniger Seele Dein.


143. Caroline an Humboldt                     Innsbruck, 3. Mai 1817

Wir sind glücklich und bei dem allerschönsten Wetter hier an-
gekommen. Eine Stunde hinter Seefeld verließ uns der
Schnee auf dem Wege, wo die Straße so tief nach
Zell herunterfällt. Wir haben uns hier, nachdem wir uns um-
gezogen und gegessen hatten, sehr herumgetrieben. Bei den Franzis-
kanern habe ich doch mit sehr großer Freude das Grabmal Kaiser
Maximilians und die vielen bronzenen Statuen wiedergesehen.
Ich habe es, dünkt mich, erst diesmal recht verstanden.
Wir gehen morgen weiter, und ich glaube kaum, daß ich vor
Bologna einen Brief bekomme. Du liebes, treues Herz, ich sehne
mich doch wieder so danach. Ach, wo sind die süßen Stunden, die Du
mit Deiner unnachahmlich, unerschöpflich guten Laune erheitertest und
belebtest! Wann kommen sie wieder? Ich komme mir ganz ver-
lassen, ganz verwaist vor.
Jacobi *) und seine Schwestern sah ich in München, nachdem
ich meinen Brief an Dich geschlossen hatte. Ich war mit Carolinen,
Gabriellen und Adelheid dort. Er war ganz außerordentlich erfreut,
mich und die großgewordene Caroline (die einzige, die er kannte)
zu sehen und die beiden jüngeren kennenzulernen. Er hat sich
eigentlich für 20 Jahre wenig verändert, und da er alle Vorder-
zähne erhalten hat, so ist sein Gesicht gar nicht verfallen. Er hat

———
*) Friedrich Heinrich Jacobi, geb. 1743, † 1819. Philosoph. Vgl.
Bd. III., S. 6f.

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