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[ Band 5 Brief 135: Humboldt an Caroline Frankfurt, 19. Julius 1816 ]
135. Humboldt an Caroline Frankfurt, 19. Julius 1816 Ich fahre heute nach Homburg, liebe Li, um die Fürstin von Rudolstadt *) dort zu sehen und da zu essen. Sie scheint auch außer der Trauer über den Sohn sehr schwer- mütig gestimmt. Überhaupt ist es wunderbar, daß bei fast allen Menschen, die selbst nachdenken, wie eine schwüle Gewitterluft die Gemüter drückt. Man hätte sich nach ausgemachtem Kampf, nach errungener völliger Unabhängigkeit froh aufstrebenden Mut gedacht. Allein gerade der fehlt. Ich kann es mir wohl erklären. Einmal läßt jede große begangene Tat, die doch nie ohne viel Unglück, große Verluste übergehen kann, in der Seele eine Unruhe und etwas den leichten Lebensmut Hinderndes nach sich. Dann hat man, wie man die Dinge nun wieder in ein ruhiges Gleis gebracht hat, zwischen dem Alten und Neuen geschwankt und notwendig schwanken müssen. Jetzt will nichts recht zusammen passen, und man faßt auch nichts mit rechtem Vertrauen an. Endlich aber ist es doch immer mehr in dieser Zeit eine physische Umänderung, als eine Umkehrung des Inneren der Menschen selbst gewesen, und man wird es bald sehen, daß sie im Grunde dieselben sind, die sie unmittelbar vor der Übermacht des Feindes waren, und daß die große Begebenheit nur dazwischengetreten ist wie ein Gespenst, das viele schreckt, und in der viele mit geisterartiger Wildheit fortspuken, als müßte es in der Welt nun nichts geben, als wieder solche Kriege, als müßte man nichts tun, als sich auf solche Kämpfe rüsten. So ist einmal die Ruhe aus dem Leben gewichen und kehrt wenigstens fürs erste nicht zurück, und da man nun auch der Unruhe kein festes und sicheres Ziel des Strebens sieht, so muß ——— *) Caroline Luise, Prinzessin von Hessen-Homburg, geb. 1771, † 1854, seit 1807 Witwe des Fürsten Ludwig Friedrich von Schwarzburg-Rudol- stadt, Regentin für ihren Sohn bis 1814. 289