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[ Band 5 Brief 106: Humboldt an Caroline Frankfurt, 10. Mai 1816 ]
106. Humboldt an Caroline Frankfurt, 10. Mai 1816 Also heut über einen Monat ist es möglich, daß ich bei Dir bin. Ich kann es Dir nicht sagen, meine Seele, wie mich das freut und bis ins innerste Herz glücklich macht. . . In Fulda trittst Du in mein Reich ein. Zwar gehört es jetzt Hessen, allein ich habe noch immer die Leitung unserer Geschäfte dort. Zwischen Fulda und hier komme ich selber Dir entgegen. In Erfurt, wenn Du Dich dort etwas aufhältst, laß doch den Vizepräsi- deuten Motz *) bitten, zu Dir zu kommen. Ich habe einen Teil des Winters mit ihm gearbeitet, er ist einer der bravsten und einsichts- vollsten Männer, die bei uns dienen, und mir sehr zugetan. Danke Nicolovius sehr herzlich, teures Kind, für den sehr hübschen und außerordentlich freundschaftlichen Brief, den er mir geschrieben hat. Mit Ilgens ist die Sache jetzt ziemlich verblutet. Sie schreibt mir wirklich hübsch, daß sie das von abgelegt hätte wie ein neues Kleid, das einem noch nicht recht sitzt. Mich hat das sehr frappiert und lachen gemacht. Es ist eigentlich das, was den Neugeadelten immer und ewig ein Geheimnis bleibt. Sie kommen nie dahinter, daß das neue Kleid ihnen nie paßt, wenn sie auch Methusalems Alter erreichten. Ich halte auf den Adel politisch gar nicht viel und bin darin sehr auseinander mit Stein und Carolinen, allein gesellschaftlich behaupte ich ewig fort, daß, wer nicht adelig geboren ist, beim größten Talent, entschlossensten und liebenswürdigsten Charakter immer in gewissen Gelegenheiten gewisse Inkonvenients behält, und daß seine Klugheit, die meist Einfachheit sein kann, nur darin bestehen kann, diese Gelegenheiten zu ver- meiden. Darüber bin ich wieder im größten Streit mit der Cüstine, die immer gegen den Adel in dieser Art ist. ——— *) Friedrich Christian Adolf v. Motz, geb. 1775, † 1830, der spätere bedeutende preußische Finanzminister. 243