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[ Band 5 Brief 98: Humboldt an Caroline Frankfurt, 5. April 1816 ]
verfließt, nicht von der Zukunft zu hoffen und betteln, sondern das, woran mir innerlich viel liegt, mir nun auch in jedem Moment zu sichern. Mit dem Meer hast Du ganz recht. Was einen zum Meere hinzieht, ist viel, viel mehr als bloß die Schönheit und Größe des Schauspiels. Es ist, wie Du sagst, das Element selbst, die Natur- kraft, die doch mehr als bloße Natur scheint, das Unendliche im Raum, das Überschwengliche in der Fülle, das Dunkle und Ge- heimnisvolle in der Tiefe, das Geistige in der schimmernden Helle und der ewigen Bewegung. Ich habe hier Creuzers *) »Symbolik« gelesen und lese sie noch. Es sind vier Bände, und man liest sie nicht schnell. Der zeigt sehr gut, wie im ganzen Altertum alle Götter- und Heroenmythen immer diese Anschauungen der Natur sind, immer Darstellungen des unbegreiflichen Geheimnisses der Schöpfung und Zeugung, immer Verknüpfungen des Himmels mit der Erde, des Lebens mit dem Tode. Ich habe mir auch viele Stellen der alten Dichter und ganze Gedichte über die Gestirne, die Nacht und die Elemente gesammelt, die etwas unendlich An- ziehendes haben. In einige Gestirnbeschreibungen bin ich ganz verliebt. Die Phantasie kehrt immer unendlich gern zu diesen großen und ewigen und geheimnisvollen Bildern zurück. Aber ich muß schließen. Lebe innigst wohl, teure, geliebte Seele, umarme die Kinder. Ewig Dein H. 99. Humboldt an Caroline Frankfurt, 7. April 1816 Es wird mir sehr lieb sein, wenn Du den Staatskanzler allein sprechen kannst. Aber glaube nicht, daß es dazu kommen wird, mich jetzt nach Berlin zu nehmen. Die Menschen um den Kanzler wollen es natürlich nicht. Jordan ——— *) Friedrich Creuzer, geb. 1771, † 1858, Altertumsforscher und Philolog. Sein Hauptwerk: »Symbolik und Mythologie der alten Völker«. 223