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[ Band 5 Brief 31: Humboldt an Caroline Paris, 16. September 1815 ]
31. Humboldt an Caroline Paris, 16. September 1815 Dein letzter Brief [vom 7. September], mein süßes Kind, hat mich eigentlich geschmerzt. Denn es ist wirklich schmerzlich, wenn das Verhältnis, das einem bloß Freude und Glück gegeben hat und verspricht, auch nur die mindeste Wolke, die leiseste Ahndung einer schiefen Stellung gibt. Ich habe gar nicht gewußt, daß Du Augusten selbst über Deine Absicht geschrieben hast, zu mir zu kommen, wenn er indes das Regiment führte. Auch hat er mir nie davon gesprochen. Nimm aber übrigens, teure Seele, die Sache auch nicht zu hoch auf. Wie ich Dir öfter in meinen Briefen gesagt habe, wenn er erst selbst in Berlin sein wird, ändert sich die Ansicht vielleicht um vieles und die hier egoistisch und schneidend erscheinende Leidenschaft geht in einen milderen Genuß über. Dann aber ist freilich manches auch nicht zu ändern, und man muß sich darin ergeben. Was Du über Hedemanns Brief an seine Mutter und über die wahre und eigentliche Liebe sagst, ist allerdings die tiefe und richtige Ansicht der Empfindung. Aber, süße, teure Li, eine so freie, unbefangene, so aus der Größe und Tiefe der Menschheit geschöpfte Ansicht haben die Menschen am wenigsten jetzt. Wie gut Hedemann ist, muß man das auch bei ihm nicht suchen, es liegt selbst nicht in den guten Seiten der jetzigen Zeit, und tausendmal kommt es mir jetzt, daß ich gegen ihn, gegen andere gleich Gute und noch Geistreichere stillschweige und sie Anathema aussprechen, Schranken setzen, Fesseln schmieden sehe, von denen allen ich keinen Begriff habe. Engherzige Ideen des Mittelalters, sogenannte alte Deutschheit, übelverstandene von Moral und Religion sind aus dem freilich noch viel ärgeren Gegenteil von alle dem entsprungen und herrschend geworden. Schreibt nicht die kleine Adelheid selbst in den sehr hübschen Briefen aus Tegel bei Gelegenheit eines 72