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[   Band 5 Brief 30:    Caroline an Humboldt     Berlin, 14. September 1815   ]


August hat mir nun durch den heutigen Kurier auch geschrieben.
Er nimmt zwar in seinem Brief mein Anerbieten an, ihn im Hause
wohnen zu lassen, meint aber, das Verhältnis mit Caroline, die die
ältere Schwester und Adelheid die Frau sei, nachdem Caroline
gewohnt gewesen, sie noch bis vor ganz kurzer Zeit als Kind zu
behandeln, werde kein leichtes sein. Mit einem Wort, mein ge-
liebter Wilhelm, dies geht nicht. Mir ist in meiner arglosen Seele,
die alles, ich darf es keck sagen, nach dem Maß meiner inneren
Liebe beurteilt, die Möglichkeit einer solchen Ansicht nicht einge-
fallen. Allein sie ist, ist ausgesprochen und dadurch da, und ich
würde Carolinen unter keiner Bedingung jetzt allein bei August
lassen.
Ich habe sehr teure Pflichten gegen Caroline und will sie
wahrhaftig nicht nachlässiger erfüllen als gegen die anderen. Caro-
linens lange Kränklichkeit kann sie vielleicht für andere weniger
liebenswürdig machen, mir legt sie eine doppelte Pflicht auf, ihr
das Leben süß und angenehm zu machen, und es ist auch ganz
bei ihr durchgedrungen, daß sie von mir unaussprechlich geliebt wird.
Also Geduld, mein liebstes Herz, ich komme mit ihr wohl nun
erst im Frühjahr. Alles Entbehren fällt auf uns zurück, mein
liebes Herz. Laß es uns still tragen. Fürchte auch nicht, daß ich
August Bitterkeit zeigen werde. Die erste kleine Aufwallung der-
selben ist schon überwunden und hat dem Schmerz Raum gemacht,
mit dem man sich so gut im Leben vertragen lernt. Das Leben,
je weiter man darin vorschreitet, lehrt einen immer nachsichtiger
gegen alle fremde Individualität zu werden. So habe ich auch
das genommen.
Adieu für heute, meine teure Seele. Wie sehr sehne ich mich
doch, Dich wiederzusehen! Grüße Schlabrendorff. Ewig Dein.

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