< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 4 Brief 284:    Humboldt an Caroline    Wien, 9. Junius 1815   ]


holen und weiterzuführen. Ich komme allein mit dem Jäger an.
Bei Dir bleibe ich auf jeden Fall acht Tage, dann gehe ich über
Burgörner und Auleben dem Kanzler nach. So sind meine Plane.
Wie ich mich freue, Dich wiederzusehen und die lieben Mäd-
chen, davon, süße, teure Seele, hast Du keinen Begriff. Ich verlasse
mich darauf, daß ich bei Dir wohnen kann, bestes Kind. Ich
brauche bloß einen Winkel und nehme gewiß wenig Platz ein, und
es ist so süß, Dir nahe zu sein. Ich denke niemand bei mir des
Morgens anzunehmen, nur die, welche abends vielleicht auch zu
Dir kommen. Aber Dich so bald wieder zu verlassen, schmerzt
mich sehr.
Überhaupt kann ich nicht sagen, daß mich die Zukunft freut.
Der vorige Krieg war das eigentlich Große und Schöne, und er ist
wie ein junger und kräftiger Baum plötzlich ins Welken gekommen.
Der Pariser Friede verderbte ihn zuerst, der Kongreß nachher, und
die Ursache des einen und anderen Verderbens war, daß das, was der
Krieg schön und groß gemacht hatte, einzeln da stand, daß es sich
nicht eigentlich durch alle Klassen und Stände, noch weniger durch
alle Nationen gleich verbreitete, daß es an einem großen Menschen
fehlte, der an der rechten Stelle das Unharmonische durch sich zu-
sammengehalten und geleitet hätte, daß vielmehr gerade bei den
beiden, die abwechselnd leiteten, dem Kaiser und Metternich, Per-
sönlichkeiten und Kleinlichkeit vorwalteten, und im englischen Kabinett
zu große Mittelmäßigkeit herrschte, um diese Fehler zu verbessern.
Jetzt, und nach dem Kriege wird es sich erst recht zeigen, ist überall
Mißverhältnis, und dadurch wird das Gute selbst minder heilsam, ja
bekommt selbst vielleicht eine schädliche Richtung. Ich habe in keiner
Zeit meines Lebens mehr besonnene Kraft besessen, aber auch in
keiner so lebendig den Wunsch gefühlt, von allen Geschäften zurückzu-
treten. Ich weiß, daß ich es nicht kann und nicht werde, und das
macht mich weder mißmutig noch traurig, aber ich bin überzeugt,

                                                                       572