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[   Band 4 Brief 257:    Humboldt an Caroline    Wien, 24. März 1815   ]


ungeheuer peinlich. Es ist ganz vergebens, wenn man glaubt, daß
ich, weil ich dabei stehe, die Sache retten kann, wo sie übel geht.
Ich kann nichts voraussehen, vorbereiten, im einzelnen richten,
worin eigentlich alles bei Staatsgeschäften besteht. Ich muß, soviel
ich kann, unterstützen was ich sehe, also nun gerade beschlossen ist,
und habe dann natürlich weniger Gewicht, ich habe aber darum
noch weniger, weil nach den Vorurteilen, die über mich herrschen,
die Metternich teils verbreitet hat, teils noch zu verbreiten weiß,
man mich für den Urheber aller Maßregeln hält, die man hart,
ungerecht glaubt, und also nur mich bekämpfen zu müssen glaubt.
Glaube mir, süßes, liebes Kind, daß ich darum doch tue, was
ich kann, aber die Hände sind einem auf allen Seiten gebunden.
Ich wollte mich nur gegen Dich rechtfertigen, daß Du mir nicht
Schuld gibst, was Dir hier mißfällt. Ich bin von allem in der
Welt unabhängig, kein Tadel, kein Beifall macht bedeutenden Ein-
druck auf mich. Aber mit Dir ist es ganz das Gegenteil. Wenn
ich wüßte, daß Du mich tadeltest, könnte ich nicht ruhig leben, und
wieder macht mich kein Lob glücklicher als Deins. Es ist dies
nicht so bloß meine Liebe zu Dir. In dieser Anwendung würde
ich das selbst Schwäche nennen. Aber es ist, weil ich überzeugt
bin, daß, wenn Du auch vielleicht nicht immer die Mittel, zu den
Dingen zu kommen, fändest, Du schlechterdings immer unfehlbar
entschiedest, was recht und unrecht, würdig und unwürdig, klug oder
albern ist.
Ich küsse Dich in Gedanken. Du, einzig Teures, hast in
mein Leben eine Einheit gebracht, deren sich niemand je wird
rühmen können, der nicht ein Wesen besitzt, wie Du bist.
Lebe wohl!

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