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[   Band 4 Brief 257:    Humboldt an Caroline    Wien, 24. März 1815   ]


ohne zu fragen, auch zum Teil gegen besseren Rat begangen hat,
gab ihm den ersten Stoß. Sehr empfindlich war ihm nachher die
in Berlin und überhaupt in Preußen ausgebrochene allgemeine
Unzufriedenheit mit den Resultaten der hiesigen Verhandlungen.
Allein endlich kam etwas hinzu, worauf er noch weniger vorbereitet
war. Der König äußerte die gleiche Unzufriedenheit, sagte es geradezu,
stark und auf unangenehme Weise, und es ist eine Tatsache, daß
er in den letzten vier Wochen äußerst schlecht mit dem König stand.
Man sagt mir, daß es jetzt etwas besser sein soll, allein der Schade
ist geschehen. Er ist gar nicht eigentlich krank, er geht herum, aus,
er wohnt allen Konferenzen bei, bei denen es nötig ist, er ist auch,
wenn man um ihn ist, heiter und gesellschaftlich wie gewöhnlich.
Aber er klagt über sein Befinden. Er sagte mir selbst neulich,
daß er das Gedächtnis verliere, einfältig werde und oft ganz weg
sei, er hat dasselbe Wittgenstein mit Tränen in den Augen ge-
klagt, und er ist in Konferenzen niedergeschlagen, still, auf keine
Weise vergleichbar mit seiner sonstigen Lebhaftigkeit. Daß ihn
wirklich das Gedächtnis verläßt, oder er in demjenigen, was er sagt,
wahre Geistesschwäche verrät, kann ich aus eigener Erfahrung nicht
behaupten, allein andere sagen es mir. Thile *) erzählte mir noch heute
und kam ausdrücklich zu mir, sich mit mir über diesen Zustand zu
besprechen, daß er gestern mitten im Reden mit ihm im Stuhl
hintenübergesunken sei, einige Minuten wie weg gewesen sei und
nachher von etwas ganz anderem zu reden angefangen habe. So,
teure Seele, ist der Zustand dieses Mannes, der schon, wenn man
ihn auch sonst nicht liebte, als das Untergehen einer sonst nicht ver-
ächtlichen Kraft etwas Rührendes haben würde.
Daß ein solcher Zustand nicht ohne mannigfaltigen Nachteil
für die Geschäfte sein kann, wirst Du selbst finden; für mich ist es

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*) Vgl. S. 409.

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