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[   Band 4 Brief 236:    Caroline an Humboldt     Berlin, 4. Februar 1815   ]


236. Caroline an Humboldt            Berlin, 4. Februar 1815

Mein teurer Wilhelm!
Es bleibt mir noch das meiste in Deinen lieben Briefen
zu beantworten. . . .
Von Koreffs Libussa ist mir nur der Prolog zuge-
kommen, und der ist sehr hübsch. Clemens Brentano hat dasselbe
Märchen in einem dicken unaufführbaren Stück behandelt, welches
er »Die Gründung Prags« genannt hat, in dem neben unaus-
stehlich Bizarrem und Gemeinem unendlich viel Schönes und
Tiefes liegt, geheimnisvolle Klänge und der eignen Brust schmerz-
liches Labyrinth. Ich habe es mit tiefem Anteil gelesen. Man
fühlt in dem Stück einen untergegangenen Menschen, von der
Natur mit großen Anlagen ausgerüstet.
Wir waren gestern abend (es ist dezidiertes Tauwetter) bei
Knobelsdorff *) mit Fouques **) zum Tee und Abendessen. Dem
Feldmarschall Blücher, der Knobelsdorff gerade gegenüber wohnt,
brachten die Studenten, die als Freiwillige gedient haben, ein
Vivat — eine Unzahl von Fackeln. Es sah recht hübsch aus.
Der alte Degen bog sich zum Fenster heraus: »Meine Herren,«
sagte er, »ich danke Ihnen tausendmal.« Darauf erscholl ein
Vivatrufen und ein Hurra im ganzen versammelten Publikum,
das sehr schön in den Nachthimmel hinaufscholl.
Mit den Juden gehe doch vorsichtig um. Ich finde es nicht
angemessen, so alle Zustände mit ihnen zu überspringen und sie in
den Genuß aller bürgerlichen Rechte auf einmal zu setzen. Alles,

———
*) Friedrich Wilhelm v. Knobelsdorff, geb. 1751, † 1820, Militär und
Diplomat.
**) Friedrich Heinrich Karl de la Motte-Fouqué, geb. 1777, † 1843,
romantischer Dichter, vermählt mit Karoline v. Briest, verwitweter v. Rochow,
geb. 1773, † 1831.

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