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[ Band 4 Brief 228: Humboldt an Caroline Wien, 5. Januar 1815 ]
ich darum mit der Zukunft beschäftigt lebe, die Sehnsucht beruhigt sich vielmehr bei mir in der Erinnerung der Vergangenheit, daß das einmal Erlebte und Genossene unentreißbar und aller Macht des Schicksals entnommen ist, das ist eigentlich für mich der Felsen- grund, auf dem das gebrechliche Glück der Menschen sich allein sicher erbauen kann. Ich stieß neulich auf eine der moralischen Abhandlungen des Plutarch, die ich nie gelesen hatte, eine Trostschrift an einen Vater, der seinen Sohn verloren hat. Insofern sie Plutarch angehört, ist sie äußerst schwach, geist- und herzlos. Aber es sind die schönsten Stellen der älteren Dichter und Schriftsteller über Tod und Schicksal darin verwebt. Es ist mir da aufs neue aufgefallen, welch einen kleinen Anteil die Alten der Hoffnung einräumten. Sie ist wirklich erst durch das Christentum recht allgemein herrschend geworden, ist aber da eine schöne Idee, weil sie, recht verstanden, doch nicht bloß Hoffnung im alltäglichen Sinn, sondern vielmehr Sehnsucht nach einem höheren, hier unmöglichen Zustand ist, wie auch bei Plato dies in der Sehnsucht der Vereinigung mit den Ur- ideen vorkommt und vielleicht auch in den Mysterien ausgedrückt war. Lebe wohl, süße, teure, inniggeliebte Seele. Umarme die Kinder. Ewig Dein H. 229. Caroline an Humboldt Berlin, 3. Januar 1815 Ich habe mit einem Brief an Dich, mein Herz, das Jahr beschlossen und beginne das neue auch mit einem Brief an Dich, denn ich habe noch niemand geschrieben. Rauch *) ist am letzten Tage des Jahres angekommen und trat ——— *) Christian Daniel Rauch, geb. 1777, † 1857, Bildhauer. Vgl. Bd. III. 451