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[ Band 4 Brief 207: Humboldt an Caroline Wien, 4. November 1814 ]
jetzt nach 26 Jahren, die sie, wenigstens ohne Eitelkeit auf ihre Schönheit, sehr klingen läßt, diesen Brief und diesen Lebenslauf. Du mußt beides notwendig lesen. Obgleich die Sache und der Stil sehr viel von der alltäglichen Romanart hat, so wird man doch in sehr individuelle Lagen versetzt, was immer anzieht. Einige Stellen sind rührend, andere, wie die von dreiundzwanzigtägigem Hungern, gräßlich, einige aber auch so sonderbar, daß man lachen möchte. Ich empfehle Dir auch die Beilagen. Des Herzogs *) Briefe sind ganz gut, aber immer so viele Phrasen um 15 Taler. Gib doch auch acht, ob Dir in Berlin der Mann vorkommt, den es ihr leid tut, nicht geheiratet zu haben? Es sind so viel Data über ihn in dem Briefe, daß es doch möglich ist. Von dem Eindruck, den ich gemacht haben soll, redet sie zwar, wie Du siehst, sehr gütig, allein viel scheint es nicht gewesen zu sein. Denn im Lebenslauf komme ich nicht vor, sie hat auch ganz vergessen, daß ich ihr, was ich mir wirklich nach meiner Gewissen- haftigkeit manchmal vorgeworfen hatte, nicht Wort gehalten und sie nicht besucht habe, und meine Augen hält sie ohne Umstände für braun! Allein demungeachtet, da ich alles Alte liebe und von jeher eine eigene Zuneigung zu dem bürgerlichen Leben gehabt habe, das in den Briefen geschildert ist, so hat mich die Sache sehr be- schäftigt, und ich habe ihr gleich und sehr gut geantwortet. Sehr lachen wirst Du über die Dame, mit der ich vermählt bin. Du wirst auch sehen, daß sie auch Netze nach Dir auswirft und zu uns kommen will. Ich habe ihr darauf sehr gutmütig und delikat geschrieben, daß Du Dich mit den Kindern unausgesetzt selbst beschäftigtest, daß es Dir und mir wehtun würde, wenn sie sich in einer Art Abhängigkeit von uns glaubte, und endlich, daß wir in so engem Kreise unsres Hauses lebten, daß uns jede Er- ——— *) Karl Wilhelm Ferdinand, Herzog von Braunschweig. 407