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[ Band 4 Brief 200: Humboldt an Caroline Wien, 12. Oktober 1814 ]
schule ist eingegangen, und in wenigstens drei Jahren tritt nichts wieder an ihre Stelle. Er ist nun also wieder auf die Universität oder gar auf einzelnen Unterricht reduziert. Doch sprich ja mit Röder *) und tue wenigstens noch das Mögliche. Ich sage Dir aber, es ist die Nemesis, daß Alexander und ich, ohne weiter zu gelehrt zu sein, in unserm Innern die Welt, im Gegensatz mit den Buch- staben, nicht genug achten; es rächt sich alles bis in die Folge- geschlechter. In der Theorie der Nemesis bin ich überhaupt sehr weit gekommen und werde Dir mündlich viel davon erzählen. Wenn ich nur erst wieder bei Dir wäre! Wenn man an der Sehnsucht nicht stirbt, so lebt man davon; und in mir ist das unendlich wahrer, als ich es mir oft selber gestehe. Ich sehne mich ewig nach Un- erreichbarem, aber was ich so liebe, wie Dich, das trägt so viel von diesem Unerreichbaren in sich, daß es die Sehnsucht ganz auf sich zieht und sie immer befriedigend vermehrt. Liebes Kind, wenn ich Dich nur ansehe, ich habe es wieder recht am ersten Tage unseres Wiedersehns in Neufchatel, wo ich eine Zeitlang still an Deinem Bett saß, und in Bern gefühlt, so wird es mir unbegreiflich wohl, und wenn wir wieder beisammen sind in Paris, laß es uns auch wieder so einrichten, daß wir manchmal in meiner Stube zusammen arbeiten, wie wir ja gleich nach unserer Heirat immer zusammen wohnten. Ich will es Dir gewiß nicht zu warm im Zimmer werden lassen. Die letzte Nachricht, die ich von Dir habe, ist eine sehr in- direkte. Varnhagen **) hat um den 4. herum Deinen Namen, er wußte mir nicht zu sagen wo, aber in Thüringen, in einem Post- buch eingeschrieben gesehn. Er ist hier und schon gewissermaßen ——— *) Vgl. S. 23. **) Varnhagen, der als Tettenborns Adjutant nach Paris gekommen war, wurde dort in den diplomatischen Dienst berufen und folgte später Harden- berg nach Wien. Er hatte sich am 27. September 1814 mit Rahel Levin verheiratet. 394