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[ Band 4 Brief 138: Caroline an Humboldt Wien, 10. März 1814 ]
vermuten wir seit mehreren Tagen. Gott gebe allen braven Armeen Sieg und den möglichst geringen Verlust! Blücher scheint so zu stehen, daß es doch sehr wahrscheinlich wird, daß er Paris nahe kommt oder hinein. Oh, ein gerechter Gott schütze die Unseren! Ich muß über Aberdeen *) lachen, daß er nicht begreift, wie Du jetzt an den Schlachten bei Marathon und Salamis Gefallen findest. Ich begreife es recht gut. Zwar ist der Augenblick groß, ungeheuer eigentlich, und wenig Menschen sind davon gewiß mehr durchdrungen, als ich es bin, allein das ist das Schicksal alles Lebendigen in der Gegenwart, daß man es erst zusammenfassen kann, wenn es Vergangenheit geworden ist, und daß es dann erst seine rechte Größe erreicht. Ist’s doch auch mit dem einzelnen Menschen so. Erst der Tod gibt ihm die ganze Weihe, alles was zurückgetreten ist aus der Berührung des Moments, erst das ist vollendet und abgeschlossen. Die Anekdote oder vielmehr die Volkssage, die Aberdeen Dir über die entführte Karyatide erzählt hat, ist eigentlich sehr schön, und es zeigt schon die Poesie an, die in einem solchen Lande in der Luft und um die großen Trümmer des Altertums wehen muß, wenn eine solche Sage unter dem Volk herumgeht. Ich habe vorige Woche mit Koreff Deine hier zurückgelassene Übersetzung des Agamemnon, die erste, gelesen, und er ist ganz in Bewunderung über die Schönheit der Übersetzung gewesen. Ich habe gelesen, und er hat den Text nachgelesen. Er hat mit den tiefsten Sinn für das Antike, den ich leicht bei jemand gefunden habe, und das Dunkelahnende im Gemüt über den Gang des Schicksals, ohne die man nie die Alten recht liebt und begreift. Die antique poussière von Aberdeen hat mir sehr gefallen. Allein auf einem freien Platz wäre auch ich lieber begraben. Es gibt aber nur einen schönen Platz in der Welt, und vielleicht ——— *) Vgl. S. 109. 267