< zurück Inhalt vor >
[ Band 4 Brief 135: Humboldt an Caroline Chatillon, 2. März 1814 ]
vorzüglich daran, daß er dort war und die Alten kennt und liebt, aber sonst mag er recht haben. Allein es ist nicht meine Schuld. Das Antike bleibt mir ewig neu. Ich finde Leben und Tod, die Menschheit und mich, Himmel und Erde darin, was will der Mensch mehr? Bei den Alten muß ich Dir doch erzählen, daß, wie mir Aberdeen sagt, die jetzigen Griechen behaupten, daß, seit Elgin *) die eine Karyatide weggenommen hat, die anderen drei alle Nächte um Mitternacht um die entführte Schwester klagen. Es muß ein sehr unangenehmes Gefühl sein, durch einen Raub zu solch einem Volks- märchen Anlaß gegeben zu haben. Meine Hauptlektüre außer den Alten hier ist Bossuet **), das kannst Du Gentzen erzählen, er wird sich daran erbauen. Ich schöpfe aus ihm Bestärkung meiner alten und ältesten Ideen über die Juden. Auch habe ich von Chatillon aus etwas für die Juden, die ich immer beschütze, getan. Ich las ein Edikt in unsern Zeitungen, daß man zur Sektion eines Leichnams in gerichtlichen Fällen nie einen jüdischen, sondern immer einen christlichen Arzt haben sollte. Dieser Unterschied hat mich indigniert, ich habe also Kircheisen, dem Justizminister, geschrieben, doch durch ein neues Gesetz solche vor- urteilsvolle Einrichtung abzuschaffen, und hoffe, daß er mir folgen wird. Es sind die letzten Funken meiner Pietät gegen die Herz, die aber fast auch christlich geworden ist. Alles fällt von den alten Göttern ab. Mit — habe ich die göttlichsten Gespräche und Streitigkeiten des Abends. Letzthin hat er behauptet, man könnte nur eine interessante Freundschaft mit einer Frau haben, wenn man ehemals ——— *) Lord Elgin, geb. 1766, † 1842, hatte bekanntlich große Kunstschätze in Griechenland gesammelt und 1814 nach England entführt. **) Jacques Bénigne Bossuet, geb. 1627, † 1704, dogmatisch-polemischer Schriftsteller. 260