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[   Band 4 Brief 128:    Humboldt an Caroline    Chatillon, 14. Februar 1814   ]


das Hauptthema war, daß ich nur paradox aussähe, aber es eigentlich
nicht wäre, und daß hinter meinen dictis, die ich nur eine glückliche
Art hätte, wunderbar einzukleiden, meistenteils eine sehr einfache
Wahrheit läge. Auch reizt mich niemand so sehr, wie er, zu
dieser Manier, und hier ruht sie erstaunlich. . . .
Carolinens Rückkehr zum Homer ist eine merkwürdige Er-
scheinung. Weiß sie aber wirklich noch genug, um gehörig zu
verstehen? Suche ihr auf eine leise Weise zu raten, die Übersetzung
zur Hand zu nehmen. Das ist nicht so mühsam wie ein Wörter-
buch, und da die Übersetzung so wörtlich ist, fast gleich gut. Läse
sie so Iliade und Odyssee von neuem durch und vergliche genau
jede Stelle, die ihr nicht ganz klar ist, und suchte sich bei der Ver-
gleichung Rechenschaft zu geben, welches ihr unbekannte griechische
Wort welchem deutschen entspricht, so würde sie wieder recht viel
Griechisch wissen. Denn wer den Homer ganz versteht, hilft
sich, so wie er will, weiter fort. Mir liegt aber gar nicht einmal
daran, daß sie viel oder überhaupt etwas anderes liest. Wenn sie
nur die Fähigkeit behält, einige homerische Gesänge im Original
zu fassen, so ist es vollkommen genug. Sie hat alsdann anschaulich
und lebendig den Sinn und Geist des Altertums in sich, und
darauf nur kommt es an. Was sie hernach an Antikem sieht,
hört, auch in Nachbildungen und Übersetzungen nur liest, nimmt
alsdann die rechte Farbe an und greift in die rechte Stimmung ein.
Vorzüglich bei Frauen braucht man dem Studium des
Griechischen nie eine andere Richtung zu geben, aber in Rücksicht
auf diese halte ich auch dies Studium so notwendig, daß ich doch
sehr wünsche, die kleine Adelheid dazu zu bringen. Wenn Hermann
sechs Monate älter ist, fange doch an, ihn alle Tage drei griechische
Wörter lernen zu lassen. Du weißt, wie gut es mit Wilhelm ging,
und es wäre doch gut, wenn Hermann eigentliche Lust zum
Studieren bekäme und wenigstens künftig so viel wüßte, als ich.

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