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[   Band 4 Brief 82:    Humboldt an Caroline    Schmalkalden, 31. Oktober 1813   ]


dürfen. Aber wenn einmal der Grad des Selbstbewußtseins ge-
kommen ist, der den Alten immer fremd blieb, wo der Mensch sich
mit sich selbst entzweit und das Vertrauen zu sich verliert, wenn
er das Weltall in zwei Hälften, eine gute und böse zerschlägt,
weil er in sich uneins ist, und sein Gewissen ihm einen bösen Sinn
in ihm selbst zeigt, dann kommt man in furchtbare Tiefen, wo man
anderer Tröstungen bedarf, und daraus entstehen, meines Erachtens,
alle diese furchtbar und wehmütig erhabenen Bildungen des
Christentums, unter denen die Jungfrau die schönste und hin-
reißendste ist.
Indes ist bei allem in der Welt viel Subjektives, und ich
liebe überhaupt in einer Frau diese Erinnerung an die Natur-
bestimmung, wenn sie mit zartem Sinn und großem Geist getragen
wird, worin zum Beispiel niemand auf Erden Dich übertrifft.
Vielleicht kommt meine Neigung dazu auch nur von Dir und
meinem Gefühl für Dich her. Damit laß mich einschlafen, süßes,
einziges Wesen, und schlafe auch Du wohl mit Hermann. Die
kleinen Mädchen liegen nun schon und träumen von Schlachten.
Umarme die guten Dinger.
Ewig Dein H.


83. Humboldt an Caroline               Schlüchtern, 3. Nov. 1813

Wir reisen recht, liebe Li, hier zwischen den Freveln und dem
Unglück der Franzosen. Ich wohne bei einem armen, aus-
geplünderten Konrektor, dessen Frau vor Schrecken wahn-
sinnig geworden ist, und der ganze Weg, auf dem wir kommen, ist mit
Leichen bedeckt. Um ein erloschenes Wachtfeuer lagen heute sechs
herum. Wie mir mein Konrektor erzählt, so hat der Kaiser Napoleon
mit großer Emsigkeit nach Neuigkeiten und allem, was vorgehe,

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