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[ Band 4 Brief 82: Humboldt an Caroline Schmalkalden, 31. Oktober 1813 ]
von Rudolstadt mit dem anliegenden Brief. Ich mußte ihn nun gleich beantworten, und darüber ist es so spät geworden, daß ich sehr müde bin. Die gute Fürstin ist, wie Du siehst, sehr dankbar für das, was ich in Leipzig, wie ich Dir sagte, für sie tat. Ich werde suchen, ob ich ihr Land und ihre Herrschaft werde intakt durch die Stürme der Zeit durchführen können. Was von mir abhängt, tue ich gewiß. . . . Deinen Brief vom 24. habe ich heute bekommen und gestern einen vom 23. Deine Freude macht mich unendlich glücklich. Es ist sehr närrisch mit Deinem Schmerz, er ist eine ordentliche Vor- bedeutung, allein die Empfindung des physischen Schmerzes am Herzen kenne ich auch sehr gut. Es ist der geistigste Schmerz unter den körperlichen, der eigentliche Übergang. Die abgeschriebene Seite ist von Goethe aus einem Aufsatz über Myrons Kuh *). Er spricht darin (der Aufsatz ist ungedruckt) über die Vorstellungen säugender Geschöpfe, und dabei kommt diese Tirade gegen die armen Madonnen vor. Mir gefällt sie immer, weil ich meiner innersten Natur nach heidnisch bin, aber übrigens finde ich, daß er sehr Unrecht hat. Es ist wunderbar, als wenn man keine Mutter und kein Kind sehen könnte, ohne an Empfängnis und Geburt zu denken. Viel liegt auch darin, daß die Malerei Sujets verträgt, welche die Bildnerei mit Recht ver- wirft, und die Alten eigentlich nur die letzte recht hatten. Die Madonnen sind vielmehr eine sehr schöne und rein menschliche Idee, an der man sich nicht versündigen muß. Das freiwillige Herab- steigen der Gottheit zu den Menschen und also Annehmen menschlicher Dürftigkeit ist darum keine minder schöne Idee, weil die Alten sie nicht hatten. Die Alten sind darum auch nicht zu tadeln, sie waren zu glücklich und lebten in zu hellem Licht, um dieser Ideen zu be- ——— *) Der Aufsatz ist in Goethes Zeitschrift »Kunst und Altertum« 1818 gedruckt erschienen, aber ohne die Stelle über Madonnen. 157