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[ Band 4 Brief 45: Humboldt an Caroline Prag, 9. August 1813 ]
Die Armut vieler Leute übersteigt allen Glauben. Hier ist eine Frau v. Marwitz, die Frau dessen, der wegen einiger zu freien Äußerungen in Spandau saß, *) aber ein tüchtiger Offizier und sehr braver Mann ist, und der jetzt eine Brigade Landwehr kommandiert. Sie ist eine Gräfin Moltke **), war Hofdame der Königin und stand bei dieser und der Berg und der ganzen Gesellschaft in großem Ruf von Charakter und Verstand. Sie hat ein Kind, und mit einem ist sie hier niedergekommen. Sie wohnt sehr mittelmäßig und scheint mit äußerster Sparsamkeit zu leben, so daß sie weiß, was alles kostet. Ich war gleich anfangs und hernach nicht mehr bei ihr gewesen, weil ich sie hier zuerst sah. Vorgestern schrieb sie mir und bat mich, zu ihr zu kommen — sie geht fast nie von ihren Kindern — und entdeckte mir, daß sie gar kein Geld mehr habe, und bat mich dringend, ihr 400 Taler Kredit zu verschaffen. Du fühlst, wie weit man sein muß, einen fremden Menschen, der einen nicht einmal gewöhnlich besucht, so anzugehen. Wenn, wie man doch wieder wünschen muß, der Krieg fortdauert, sehe ich gar nicht ab, wie diese Personen leben wollen. Du weißt, daß die Levi einmal in Gentz verliebt war, das hat wieder angefangen, und sie schreibt ihm die rührendsten Briefe, die ihn sehr quälen, denn er macht sich im Grunde, wie er auch sie im Sprechen vergöttert, nichts aus ihr, und sie hat nichts davon, als die großen Worte, die sie nicht hört. Neulich habe ich aus Spaß ihm bewiesen, daß er sie recht gut ganz glücklich machen könnte, indem er sie des Abends zur Sagan brächte, da sie darüber immer so klagt gegen ihn, daß sie nicht mit vornehmen Leuten umgehen könnte, und er ist über den Gedanken so weichherzig geworden, daß er mich gebeten hat, aufzuhören, davon zu sprechen. Seine Milde ——— *) Friedrich August Ludwig v. der Marwitz, geb. 1777, † 1837. **) Vgl. F. A. L. v. der Marwitz, ein märkischer Edelmann im Zeitalter der Befreiungskriege. E. S. Mittler & Sohn, Berlin, 1908. I. S. XXXIV. 88