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[ Band 4 Brief 43: Humboldt an Caroline Prag, 31. Julius 1813 ]
Kräften oder maschinenmäßiges Aufbauen toter Formen oder im besten Verstande die Bewegung eines edlen Sinns in Fesseln der Not und der Pflicht. Ich bewege mich mit und teile es, achte was andere tun, und bleibe treu mitten drin, aber das eigentliche Leben ist ein Nichts von allem dem, es liegt auch hier schon nur immer jenseits. Und, wenn man bedenkt, daß in so vielen anderen Dingen das Höchste und Beste auch immer jenseits liegt, daß selbst die Liebe, das Reinste und Selbständigste, sich fast nie in ihrem wahren Wesen in dem Augenblicke der Gegenwart verklärt, so wird man tief inne, daß das wahre Glück nur aus Wehmut und Sehnsucht besteht und der Meeresluft gleicht, die einen von fernen Küsten her anweht. Ich möchte darum nicht jetzt in Italien oder Griechenland sein. Die Gefühle der Wirklichkeit und die Ansprüche des Idealischen sind oft in Streit miteinander. Aber die letzten sind wie edler Frauensinn, der zurücktritt, schweigt und entbehrt und seine Welt geschlossen in sich hat. Das erste Recht fordert die Treue, mit der ich ohne alle Rücksicht auf die Menschen und ihr Sein nicht einmal vom Boden weiche, der mich geboren hat, wenn er meiner bedürfte. Und so geht denn in der Genugtuung des Handelns und in dem Genusse der Sehnsucht das Leben hin, und das bloße Verfließen der Zeit macht, was ich unendlich in Anschlag bringe, mit jedem Moment die Weltansicht bedeutender. Aber wenn mitten darin mich Laute aus jenen einzigen Zeiten und Regionen berühren, so kann mich ein Zittern ergreifen, wie ein Bewußtsein entrückten Para- dieses und verlorener Unschuld, und es bedarf Zeit, sich wieder in das alte Gleichgewicht zu wiegen. Ich freue mich im voraus, wie Dir die Tempelbeschreibung gewiß sehr gefallen wird. Ich werde auch eine Abschrift an Goethe schicken, damit sie in Deutschland bekannter wird. Goethe ist, wie mir die Recke (von der gleich mehr) sagt, sehr verdrießlich in Teplitz. Ich kann mir seinen Zustand denken. Er 84