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[   Band 4 Brief 23:    Humboldt an Caroline    Ratiborschitz, 25. Junius 1813   ]


haben die wahre Treue im Herzen, in der doch eigentlich alles
Gute und alles Beglückende liegt. Denn treu sein heißt, die Zeit mit
seinem Herzen und Gemüt erfüllen und befruchten, und darin liegt
eine Unendlichkeit verborgen. Ich freue mich unbeschreiblich auf
den Augenblick, Dich wiederzusehen, wir sind im Grunde sehr nahe,
und mir ist nie vorgekommen, als läge eine solche Kluft zwischen
uns beiden. Denn ich sehe kaum ab, wie ich zurückkommen könnte,
ehe dies entwirrt wäre, auch darin hält mich die Treue zurück, die
ich gewiß nicht brechen werde. Und kann sich das so Verwirrte
so bald entwickeln? Ich kann es mir nicht denken. Ich kann es
Dir nicht sagen, wie tief es mich bewegt, wenn ich mir so viele
denke, die jetzt in unsern Truppen sind, die sich brav und edel ge-
schlagen haben, die zum Teil verloren, was ihnen das Liebste hieß,
die nun rächen möchten den Tod der Gebliebenen und ihn recht-
fertigen durch das Erringen des im Anfang Erstrebten, und daß
das Tichten und Trachten dieser, die doch das Edelste denken und
wollen, was jetzt gedacht und gewollt werden kann, abhängen soll
von einigen Schreibereien und Gesprächen und Verhandlungen.
Möchte es drum sein, wenn jeder, der dorthin geht, wenigstens
diese Gedanken in der Brust trüge und bei jedem Schritt sich so
dächte, als müßte er ihn verteidigen vor diesen. In meiner Brust
wird der Gedanke immer liegen, aber was hilft das Verschlossene
in eines Menschen Busen; der Lauf der Welt und der Begeben-
heiten geht darüber und daneben vorbei; so war es immer, und so
wird es auch jetzt sein. Glaube nicht, liebe Seele, daß ich gerade
denke, es wird mit Gewißheit und muß schlecht gehen, oder daß
ich alle mißbillige, die darin handeln. Allein wahr ist und bleibt
es doch, daß auch den größesten Weltbegebenheiten, den ver-
wickeltsten, unmittelbar die höchsten und ursprünglich aus dem Ge-
müt fließenden Grundsätze zur Richtschnur dienen könnten, und es
in unserer Zeit nicht tun, weil Kleinlichkeit und Gesellschaft alles

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