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[ Band 4 Brief 19: Caroline an Humboldt Wien, 19. Junius 1813 ]
19. Caroline an Humboldt Wien, 19. Junius 1813 Sonnabend, 12 Uhr mittags Indem ich auf die Post warte, setze ich mich hin, Dir, mein teurer Wilhelin, zu schreiben und Dir für Deinen lieben Brief vom 13. aus Reichenbach zu danken. Zuerst muß ich Dir Glück wünschen, daß Du nicht diese Tage hier ge- wesen bist, denn denke nur, in Deiner Stube ist über Deinem Schreibtisch die halbe Decke eingefallen. Wenn Du oder ein anderer am Mittwoch da gestanden hättest — Gott, ich kann es nicht ausdenken! Gestern nachmittag besuchte ich die Gräfin Bernstorff. Er, der Mann *), hat einen Anfall von Podagra, der indessen doch nicht stark ist. Ich sah den Vater **) der Gräfin, der mir keinen besonders angenehmen Eindruck gemacht hat. Nicht das Edle, das Bernstorff in seinem Äußern hat, so einen Ausdruck von bloßem Weltmann mit einem Anstrich von Kaustizität. Er sagte mir, daß man den General v. Scharnhorst ***) für sehr bedenklich krank in Prag gehalten habe, und daß er außer der Wunde im Schenkel eine Art Nervenfieber hätte. Das wäre ein bittrer Verlust für uns. Deine Tätigkeit, mein geliebter Bill, kenne ich, Lebzeltern braucht sie mir nicht zu versichern. Gott wolle diese schöne Tätig- keit segnen mit Früchten, an denen sich viele erfreuen und laben. Über Deine persönliche Lage in dem Ganzen kennst Du meine ——— *) Christian Günther Graf v. Bernstorff, geb. 1769, † 1835. Dänischer Gesandter in Wien von 1811—1816, später preußischer Minister des Auswärtigen. **) Graf Dernath. ***) Scharnhorst wurde am 2. Mai bei Groß-Görschen verwundet, reiste aber trotzdem nach Österreich, um mit den österreichischen Staatsmännern zu verhandeln. Nach Humboldts Mitteilungen von Wien kurz vor der Schlacht bei Groß-Görschen wollte nämlich Österreich am 20. Mai mit 190 000 Mann schlagfertig dastehen. — Scharnhorst starb am 28. Juni in Prag. 36