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[ Band 4 Brief 2: Humboldt an Caroline Karlsbad, Montag, 15. Junius 1812 ]
Goethe grüßt Dich sehr, sehr herzlich und spricht viel davon, daß Du einmal eine Zeit mit ihm hier leben solltest. Etwas Trauriges ist seine Art, sich nach und nach einzuspinnen. Er will nicht nach Wien, nicht einmal nach Prag, von Italien hat er auf ewig Ab- schied genommen. Also Weimar und Jena und Karlsbad! immer und alljährlich! Wenn der Mensch am Ende so werden muß, wenn es unabänderlich ist, daß die regesten Säfte endlich so stocken, so muß man sich wenigstens da einspinnen, wo man sicher ist, daß jede Art der Größe im gleichen Kreise mit uns ruht. Ja! liebe Seele, laß uns ja fest an Rom halten. Wir haben Vieles und Großes genossen, wir sind nie von etwas wie von einem Wahn oder Traum zurückgekommen, wir haben gleich das Einfach-Wahre ergriffen, wir müssen das Ende des Lebens nicht herabsinken lassen. Ich habe mit Goethe sehr viel interessante Gespräche gehabt, vorzüglich über Shakespeare, über den er ganz neue und sehr interessante Ideen hat, auch über Calderon, von dem er noch mehr hält, dann über tausend andere Gegenstände. Die Recke *) habe ich zweimal gesprochen, gestern bin ich mit ihr spazieren gefahren, heute habe ich bei ihr gefrühstückt (schlechten Kaffee, ich mache ihn jetzt sehr gut und verstehe die ganze Theorie). Sie ist wie immer. Tiedge **), Pappermann ***) verheiratet mit einer Kammerjungfer, die alten Gespräche, Klagen usf. Ein wahres Gespenst aus voriger Zeit habe ich hier in Geßler †) und Friedrich Leopold Stolberg ††) gesehen. Der arme Geßler, er hat ——— *) Elisa v. der Recke, geborene Gräfin Medem, geb. 1754, † 1833. Dichterin. Schwester der Herzogin Biron von Kurland. **) Christoph August Tiedge, Dichter, geb. 1752, † 1841, seit 1805 Frau v. der Reckes steter Begleiter. ***) Diener. †) Karl Graf Geßler war lange Jahre hindurch preußischer Gesandter in Dresden und intimer Freund des Körnerschen Hauses. ††) Graf Stolberg, Dichter und Schriftsteller, geb. 1750, † 1819. 6