< zurück Inhalt vor >
[ Band 4 Brief 2: Humboldt an Caroline Karlsbad, Montag, 15. Junius 1812 ]
Er ist noch ebenso munter, so rüstig, so leicht beweglich zu Scherz und Schimpf, in welch letzterem er sich gegen die neuen Sekten, besonders die christkatholische, mit großem Wohlbehagen ergeht. Allein man sieht, daß er oft an seinen Körper erinnert wird. Mitten in Gesprächen, auch die ihn interessieren, unterbricht er sich, geht hinaus, ist sichtbar angegriffen. Gestern machte ich einen langen Spaziergang mit ihm, aber er mußte sich alle paar tausend Schritt setzen und ausruhen. Der Spaziergang war sehr schön. Wir gingen um 1/2 7 aus, erreichten die höchste Bergesspitze, von der man durchaus alles übersieht, bei Sonnenuntergang, sahen die Sonne scheiden und gingen im Mond- schein zurück. Ich leide wirklich nicht, liebe Li, daß Du künftigen Sommer ganz in Wien bleibst. Willst Du nicht nach Italien gehen, mußt Du sonst eine Reise in irgendeine Natur machen. Du weißt, daß ich an ihr mehr als an allem anderen hänge; der gestrige Abend ist mir unendlich viel gewesen, seit zwei Jahren der erste recht in dieser Art erquickende und belebende. Und doch ist Goethe mit mir übereingekommen, wie ich mit ihm, daß die Natur hier nirgends schön ist, daß man erst in sie durch seine eigenen Neben- gefühle hineintragen muß, was man nachher in ihr finden will, daß aber das Schöne nur jenseits der Berge ist. Ich lobe die Gegend auch nicht, will Dir auch keine Reise hierher empfehlen, ob ich gleich ich weiß nicht was darum gäbe, wenn Du bei mir wärst; aber ich liebe nun einmal Thüringen und dies angrenzende Land. Du, weiß ich, kannst es nicht. Aber ich habe darin durch Dich das große, lange Glück meines Lebens begonnen, ich habe zuerst da eigentlich frei geatmet, mich in mir und in Dir gefühlt, und selbst der Ernst, die Einförmigkeit, wenn Du willst, selbst eine gewisse Dürftigkeit der Gegend hat eine geheime Verwandtschaft mit dem inneren Glück, das doch immer zwischen Genuß und Sehnsucht, Heiterkeit und Sorge schwankt. 5